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Samstag, 23. Februar 2013

Stoff aus der Führerschule


Die Einrichtung von "Führerschulen" im Nazi-Staat wurde angeregt durch Empfehlungen des amerikanischen Intelligenzforschers Lewis M. Terman. Das schrieb Friedrich Reinöhl in seinem 1937 erschienenen Buch “Die Vererbung der geistigen Begabung”. http://guttmensch.blogspot.com/2011/04/nazi-wissenschaftler.html

Terman ist bekannt für die Entwicklung des Stanford-Binet-Tests und der heute noch üblichen Form der Intelligenquotient- (IQ-) Angabe. Er initiierte 1921 eine „Hochbegabtenstudie“ (Terman-Studie), die bis heute läuft.
Siehe Eintr
äge „Lewis M. Terman“ und „Intelligenzquotient“ auf Wikipedia; http://de.wikipedia.org/wiki/Lewis_M._Terman
; http://de.wikipedia.org/wiki/Intelligenzquotient
Die Führerschule Ordensburg Vogelsang wurde auf diesem Blog bereits erwähnt (im Zusammenhang damit, dass bei dort gefeierten Hochzeiten angemahnt wurde, die Braut solle keinen Brautschleier tragen, da der Schleier “orientalisch” sei).
Erst kürzlich stieß ich auch auf Internet-Quellen zu berufsständischen Führerschulen, insbesondere zu der “Führerschule der deutschen Ärzteschaft” in Alt-Rehse.



Bild:

Einweihung der neuen Turnhalle der “Führerschule der deutschen
Ärzteschaft” in Alt-Rehse, Mecklenburg, im Mai 1936 in Anwesenheit von Reichsärzteführer Gerhard Wagner


http://www.aerzteblatt.de/archiv/77266/Erinnerungskultur-Lernort-Alt-Rehse


Kann es sein, dass der Schriftsteller-Arzt Hans-Christian Sarrazin, Jahrgang 1914, die Ärzte-Führerschule absolvierte?
Und weiter, dass er daraus mitgenommene Ideen und Kursmaterialien auch an seinen Sohn Thilo Sarrazin weitergegeben hat – der diese dann seinerseits einem geistigen Recycling zuführte?

Für Ersteres spricht eine Kombination von Wahrscheinlichkeiten. Immerhin etwa ein Viertel der deutschen “Jung
ärzte” besuchten Schätzungen zufolge in den späten 1930er/ frühen 1940er Jahren diese Schule. Sarrazin Senior war als Truppenarzt eingesetzt, was in Auswahlverfahren fuer ärztlichen Führungsnachwuchs sicher Bonuspunkte einbrachte. Als schriftstellernder Arzt, der stolz darauf war, hin und wieder in einer gleichgeschalteten Zeitung ein harmlos-stimmungsvolles Gedicht unterzubringen, hatte er sich medientauglich gezeigt und ragte aus der Masse der Jungärzteschaft immerhin soweit heraus, dass es gereicht haben dürfte, ihn im oberen Viertel einzusortieren und für eine weltanschauliche Ärzte-Eliteschule  auszuwählen. Schließlich sollten Ärzte ja auch Propagandisten sein und der Bevölkerung die Ideologie und Praxis der “Rassenhygiene” nahe bringen. Sarrazin Senior war zudem ein Schü
tzling des Publizisten Paul Fechter, der sich zwar nach Kriegsende mit einigem Erfolg als Held des “inneren Widerstands” stilisierte, zuvor aber von “Fachsoldaten des Dritten Reichs” (!) geschwärmt hatte.
(Siehe http://guttmensch.blogspot.com/2012/03/mehr-zum-thema-nostalgie.html)
Und womit kämpft ein „Fachsoldat“?

Vielleicht mit der „verbalen Artillerie“?



„Ich habe immer die verbale Artillerie aufgestellt. Die muss auch kräftig ballern, aber ich habe immer nur dort geballert, wo ich wusste, dass ich so ohne Weiteres nicht zu kriegen bin.“

Thilo Sarrazin in dem ZEIT-Interview »Da kam ein Anruf vom Wowereit«, 10. 07.2010





Insgesamt halte ich es für wesentlich wahrscheinlicher, dass Hans-Christian Sarrazin die Ärzte-Führerschule besucht hat, als dass er sie nicht besucht hat.
Teilnehmerlisten und Unterrichtspläne der Ärzte-Führerschule gelten als verschollen. Aber dass im Besitz oder in der Hinterlassenschaft von Kursteilnehmern noch einzelne Exemplare von ausgegebenen Kursmaterialien lagern, ist wahrscheinlich. Bei unveröffentlichtem Material könnte die Versuchung gross sein, etwas davon zu verwenden, ohne zu erwähnen, woher es kommt – zumal, wenn man der Meinung ist, manches Gute aus der Nazi-Zeit würde zu Unrecht verteufelt und müsste vom NS Unrecht völlig getrennt gesehen werden.   

Thilo Sarrazin, der sich gern als “Ketzer” darstellen lässt, verlautbarte, wenn (Neo-) Nazis sagen würden, die Erde sei rund, würde er deshalb nicht sagen, sie sei flach. Das hat auch niemand von ihm verlangt, aber soll die Eugenik/ Rassenhygiene die Analogie zu der Erkenntnis sein, dass die Erde rund ist?
In Teilen seines Buches (DSSA) hat Thilo Sarrazin z.B. den Nazi-“Begabungsforscher” Reinöhl paraphrasiert, ohne auf dessen Buch “Die Vererbung der geistigen Begabung“ hinzuweisen und offenbar, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sich die Ähnlichkeiten nachvollziehen lassen. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass ihm nicht Reinöhls Buch vorlag, sondern unveröffentliches Kursmaterial aus Alt-Rehse, das wiederum aus Reinöhls Buch und dessen Quellen schöpfte. 

Reinöhl selbst galt in manchen Kreisen bis in unsere Zeit hinein als Autorität und Vorbild; so gibt es z.B. immer noch Auseinandersetzungen über die Namensgebung einer nach ihm benannten “Reinöhl-Schule”. Wie fast immer, wenn es um Namensänderungen von Straßen oder Einrichtungen geht, bei denen der Ruf der Namensgeber moderner, Internet-gestützter Recherche nicht standhält, hält sich lange der Wunsch, altgewohnte Namensgebungen zu belassen.

Die Punkte, die hier verbunden werden, wurden als Nebenprodukte der Arbeit an verschiedenen Posts, insbesondere den Posts “Mehr zum Thema Nostalgie” und “Zwangssterilisationen – Wohltat oder NS Unrecht?” einzeln zusammentragen. http://guttmensch.blogspot.com/2012/03/mehr-zum-thema-nostalgie.html
(Enthält einige Informationen zur Biografie von Hans-Christian Sarrazin (aus dem Klappentext des Gedichtbands "Ahorndekade") http://guttmensch.blogspot.com/2013/02/zwangssterilisationen-wohltat-oder-ns.html
(Nachkriegs-Kontroversen um NS Zwangssterilisationen, wie sie u.a. im Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen durchgeführt wurden)
http://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrerschule_der_Deutschen_%C3%84rzteschaft

(“Führerschule der deutschen Ärzteschaft” auf Wikipedia)
Die zunächst vereinzelten Funde zum Thema Führerschulen” brachten mich auf die Frage, welche Lerninhalte dieser Schulen auch in Lehrpläne und Köpfe der Nachkriegszeit, bis in die heutige Zeit hinein, Eingang gefunden haben.

Fundstellen dazu werde ich hier nach und nach erg
änzen und freue mich natürlich ganz besonders über Beiträge von Kommentatoren.



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Führerschulen; weitere Beispiele

Braunschweig und seine „Führerschulen“

„Des Weiteren holte (NSDAP-Ministerpräsident) Klagges wichtige nationalsozialistische Institutionen in die Stadt, wie z. B. die Akademie für Jugendführung der Hitler-Jugend, ... die Führerschule des deutschen Handwerks, die Gebietsführerschule der Hitler-Jugend, ... die SS-Junkerschule, die das ehemalige Braunschweiger Schloss nutzte, die „Bernhard-Rust-Hochschule“ und die Truppenführerschule des Reichsarbeitsdienstes.“

Aus Wikipedia, Geschichte der Stadt Braunschweig
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Stadt_Braunschweig#J.C3.BCdische_Gemeinde
(Hyperlinks entfernt, Hervorhebungen von mir)

Führerschulen der SS, des SD und der Sicherheitspolizei
„Führerschulen der SS, des SD und der Sicherheitspolizei waren Institutionen, die während der Zeit des Nationalsozialismus die Aufgabe hatten, Führungskräfte für die SS, den SD und die Sicherheitspolizei auszubilden.
Die verschiedenen Schulen und Schultypen mit unterschiedlichen Ausbildungs-schwerpunkten dienten der Ausbildung von Offizieren sowie von Unteroffizieren und anderem Fachpersonal. So gab es allein für die Waffen-SS neben den vier offiziellen Junkerschulen in Bad Tölz, Braunschweig, Klagenfurt und Prag 18 Waffen- und Fachschulen zur Ausbildung der aktiven und der Reserve-Offiziere sowie der technischen Laufbahn und der Sonderlaufbahn. ... Über die eigentliche militärische Ausbildung hinaus wurde an diesen Schulen auch eine im ganzheitlichen Sinne SS-gemäße Lebenshaltung gelehrt. Die  vier SS-Junkerschulen dienten von ihrer Struktur her den meisten anderen SS-Schultypen als Vorbild. ...

Schulen und Schultypen: ... SS-Junkerschulen ... Medizinische Akademie der SS ... SS-Führerschule des Wirtschafts-Verwaltungsdienstes ... Unterführerschulen der Waffen-SS ... Berufsschulen der Waffen-SS ... Schulen der Sicherheitspolizei und des SD ...“



Wewelsburg als „Reichsführerschule der SS“

Freiherr Friedrich Adolf Karl August Roderich von Oeynhausen (1877-1953) gilt als überzeugter Nationalsozialist mit Verbindungen in die Berliner Parteispitze der NSDAP. Er beherbergte Adolf Hitler im Januar 1933 im legendären Lipper „Durchbruchswahlkampf“ als persönlichen Gast auf seinem Gut Grevenburg. Adolf von Oeynhausen schlug in seiner Amtszeit Heinrich Himmler die Wewelsburg als „Reichsführerschule der SS“ vor.
Seine Tochter Ulrike von Oeynhausen war Patenkind Adolf Hitlers. Er war Ehrenritter des Johanniterordens.
Aus Wikipedia (deutsch), Eintrag Adolf von Oeynhausen
http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Oeynhausen


„Burghauptmann“ der Wewelsburg wurde dann Manfred von Knobelsdorff.

Siehe z.B.Internet-Portal „Westfälische Geschichte“

Auszug

Schon vor der Genehmigung des Mietvertrages durch den
Reichsschatzmeister der NSDAP, nach dem die Wewelsburg für einen
jährlichen symbolischen Mietpreis von "1,- RM" auf "die Dauer von
einhundert Jahren, beginnend mit dem 1. Januar 1934 und endigend mit dem
31. Dezember 2033", in den Besitz der SS übergehen sollte, bezog Manfred

von Knobelsdorff als neu ernannter "Burghauptmann" mit Frau und Kindern
Anfang August 1934 seine Wohnung im Südflügel der Burg. Da sein Berufsweg
für eine große Zahl von SS-Führern als typisch angesehen werden kann,
sollen die wichtigsten Daten hier kurz aufgeführt werden:

Manfred von Knobelsdorff (1892-1965)

1914-1918 Berufsoffizier im 1. Weltkrieg, Träger des Eisernen Kreuzes I.
Klasse
1919 Entlassung aus der Armee als Hauptmann
1919-1934 Vertreter einer Parfümfabrik; verheiratet mit Ilse Darré, einer
Schwester des NS-"Blut- und Boden"-Ideologen Richard Walter Darré
1934-1938 als hauptamtlicher SS-Führer, zuletzt im Range eines
Obersturmbannführers, "Burghauptmann von Wewelsburg"
Anfang 1938 Wechsel in den "Reichsnährstand" seines Schwagers Darré
1939-1945 Kriegsdienst im Heer
nach 1945 Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit als Vertreter

In seinem Bericht über die feierliche Übergabe der Wewelsburg an Himmler
am 22.09.1934 preist der "Völkische Beobachter" pathetisch ihre Lage "im
alten Reich der Sachsen". Und weiter heißt es: "Nur wenige Kilometer weit
liegen die sagenumwobenen Externsteine mit der Irminsul, und von Ferne
mahnt die Gestalt Hermann des Befreiers von der Grotenburg..." [...]

Das NS-Blatt traf mit dieser Darstellungsweise durchaus Himmlers
Vorstellungswelt einer phantastischen Germanenmystik, vermischt mit
pseudowissenschaftlicher Rassentheorie, Ahnenkult und Runenverehrung -
eine abstruse Mischung, die dennoch ernst genommen werden muß als Extrakt
eines weit verbreiteten deutsch-nationalen und deutsch-völkischen
Gedankengutes. Als geradezu klassisches Beispiel für eine derartige
völkische Gesinnung darf hier der ehemalige evangelische Pfarrer Wilhelm
Teudt genannt werden, der seit 1920 als Privatforscher für Germanenkunde
in Detmold tätig war. Bereits vor dem politischen Sieg des
Nationalsozialismus hatte er die bizarre Felsengruppe der Externsteine als
"uralte germanische Kultstätte" gedeutet und sie dadurch nach dem
wohlbegründeten Urteil des ehemaligen Detmolder Archivdirektors Erich
 Kittel zu einem" Tummelplatz der Schwarmgeister" gemacht.[...]

Bereits die ersten, Anfang 1934 vorgelegten Ausbaupläne des Architekten
Bartels zeigen, daß die ursprünglichen Pläne des SS-Rasseamtes, auf der
Wewelsburg rasch mit einer breiten ideologischen Schulung der SS-Führer zu
beginnen, aufgegeben und eine bemerkenswerte Verlagerung ihrer
vorgesehenen Aufgabenstellung zugunsten einer pseudowissenschaftlichen
Grundlagenforschung zur Untermauerung der SS-Rassenlehre eingetreten war.
Auf den Umbauplänen sind nämlich keine größeren Klassen- oder
Schulungsräume ausgewiesen, sondern lediglich enge, zellenartige Räume für
vertiefte Einzelstudien. Die dafür erforderliche "Grundlagenforschung"
betrieb eine von Knobelsdorff ausgewählte Gruppe junger "ideologisch
gefestigter" Wissenschaftler für "germanische" Vor- und Frühgeschichte,
Mittelalterliche Geschichte, Volkskunde und Sippenforschung als
grundlegende Disziplinen im Sinne der SS-Ideologie. Ihr 
Wewelsburg,
"Obergruppenführersaal"
http://www.philipcoppens.com/
wewelsburg.html
"Wissenschafts"-verständnis entlarvt sich selbst bei der - allerdings
vergeblichen - Suche nach einem Fachmann für "Germanische Himmelskunde"
als "Rüstzeug zur weitanschaulich-politischen Schulung" [...]



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Lehrer für 600.000 Manager

“Reinhard Höhn: [Ihn]… zeichnete … eine große Anpassungsfähigkeit aus. Nachdem er zunächst eine "mustergültige NS-Karriere" … verfolgt hatte, in der er u.a. die Leitung des "Berliner Instituts für Staatsforschung" innehatte und zugleich beim SD-Hauptamt tätig war, musste er sich nach dem Kriegsende neu orientieren. Er erschloss sich ein neues Aufgabenfeld, in dem er nicht weniger "erfolgreich" seine Vorstellungen von "Menschenführung" umsetzte. Als Leiter der "Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte" propagierte er ein Managementkonzept, das als "Führung im Mitarbeiterverhältnis" und "Harzburger Modell" schnell populär wurde …
Dabei ging Höhns Managementkonzept letztlich auf die preußische Militärtradition zurück und nahm Führungselemente der SS auf, wie etwa die "Führerversammlung". Höhn wurde zum "Lehrer für 600.000 Manager", wobei Schlagworte wie "Delegation und Verantwortung" und die "Innere Kündigung" bis heute einen hohen Stellenwert genießen. Als Höhn im Jahre 2000 starb, fanden sich im Nachruf in der "Süddeutschen Zeitung" weder eine kritische Bemerkung zu seiner NS-Vergangenheit noch zum autoritären Charakter des Modells …

Gleichwohl schulte Höhn nicht nur die Wirtschaftselite und die Bundeswehr - seine Aktivitäten erstreckten sich auch auf die Parteien. Dabei reichte das Spektrum seiner Klienten von den Parteien des bürgerlichen Lagers bis hin zu SPD-Funktionären und Gewerkschaftlern.”

Aus:
Norbert Frei, Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Campus Verlag: Frankfurt/ New York 2001. - Von Susanne Benöhr und Uta Engelmann;
eForum zeitGeschichte
S. auch auf diesem Blog http://guttmensch.blogspot.com/2012/04/hoehenlage-der-intelligenz.html

„Im letzten Jahr wurden das Kleistgrab und der Weg dorthin neu gestaltet und Informationstafeln ... aufgestellt. Es wurde aber versäumt, darauf hinzuweisen, dass dort von 1937 bis 1945 das Institut für Staatsforschung der Berliner Universität untergebracht war. Der Leiter, Prof. Dr. Reinhard Höhn, gehörte zu den einflussreichsten Juristen der NS-Zeit und war mit seinen Mitarbeitern auch direkt am NS-Unterdrückungs- und Vernichtungsapparat beteiligt. Nach dem Krieg gelang ihm eine bemerkenswerte weitere Karriere als Managementberater und –lehrer.“

Dr. Hans-Christian Jasch, freier Mitarbeiter der Gedenkstätte „Neben dem Kleistgrab - Das Institut für Staatsforschung am Wannsee und die Rolle führender Juristen im Nationalsozialismus“ (Aus der Ankündigung einer Veranstaltung im Juni 2012)

 
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SS-Führerschule der Sicherheitspolizei

Die braunen Anfänge von Wiesbaden
die tageszeitung taz.de 07.04.2011

GESCHICHTE 60 Jahre nach seiner Gründung untersucht das Bundeskriminalamt den
Einfluss des Nationalsozialismus auf die Frühphase der Behörde. Zahlreiche
SS-Leute kamen dort unter

WIESBADEN taz Zum Beispiel Josef Ochs. Der war einst SS-Obersturmführer und für
die Verfolgung von Sinti und Roma zuständig - und durfte später dennoch im
Bundeskriminalamt (BKA) Staatsschützer werden. Dort konnte er 1952 Zürich,
Paris, Amsterdam und München zu "Zentralen des Judentums in Europa" erklären und
sich für die Einrichtung von "Internierungslagern" aussprechen. [...]
"Mit unserer Geschichte umgehen heißt:
Wir müssen die Unsäglichkeiten, die Rechtsperversionen, das scheußlichste
Inventar an Leidenszufügung immer wieder zur Sprache bringen", sagte
BKA-Präsident Jörg Ziercke. [...]
Nach den Kolloquien vom Herbst 2007 wurde zusätzlich ein Team von
Wissenschaftlern um den Historiker Patrick Wagner von der Universität
Halle-Wittenberg beauftragt. Das hat nun erste Ergebnisse seiner Forschung
präsentiert.
Wagner verwies darauf, dass im 1951 gegründeten BKA zahlreiche NS-Verbrecher
unterkamen. "Die Teilnahme an den Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus war
für sich genommen kein Ablehnungsgrund", sagte Wagner. Auch Mitglieder mobiler
Mordkommandos in Osteuropa ("Einsatzgruppen") wurden ins Bundeskriminalamt
geholt. 1958 waren fast alle Führungspositionen mit ehemaligen Nazis besetzt,
von 47 leitenden Beamten des BKA waren 33 einst bei der SS. [...]
Und: Es gab mächtige Seilschaften im neu gegründeten BKA. "Charlottenburger"
hießen die "Altkriminalisten" um Paul Dickopf. In Berlin-Charlottenburg hatten
er und seine Männer sich an der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei ausbilden
lassen. Dickopf wurde zu einem der Architekten des BKA und 1965 sogar dessen
Präsident.
All das ist nicht ganz neu. So hat der frühere BKA-Kriminaldirektor Dieter
Schenk schon vor zehn Jahren in seinem Buch "Die braunen Wurzeln des BKA" auf
die personellen Kontinuitäten aufmerksam gemacht. Wagner ging es aber um mehr
als die Untersuchung der "kalten Amnestie". Er wollte die Kontinuität
kriminalistischer Konzepte und Kategorien aus der NS-Zeit in der BRD
untersuchen.
Für die Frühzeit des BKA lässt sich zeigen, dass Beamte polizeiliche
Sondermaßnahmen gegen Gruppen forderten, die vor 1945 Opfer der
NS-Vernichtungspolitik wurden: gegen Sinti und Roma, die mal "Zigeuner", mal
"Landfahrer" genannt wurden.
Noch 1967 gab ein leitender BKA-Mann einen Leitfaden heraus, in dem es hieß:
"Zigeuner leben in Sippen und Horden […]. Der Hang zu einem ungebundenen
Wanderleben und eine ausgeprägte Arbeitsscheu gehören zu den besonderen
Merkmalen eines Zigeuners." Und noch 1983 musste der Zentralrat der Sinti und
Roma gegen eine Sondererfassung im Polizeisystem demonstrieren. Bis 2001 habe
sich das BKA an deren Diskriminierung beteiligt, sagte Wagners Mitarbeiter
Andrej Stephan. [...]
Eine Grenze kennt das Aufräumen mit der braunen Vergangenheit dennoch. Die
Straße, in der die BKA-Zweigstelle in Meckenheim liegt, trägt immer noch den
Namen des Mannes, der die "Charlottenburger" aus der SS-Führerschule einst in
hohe Ämter hob: Paul Dickopf.
 
WOLF SCHMIDT
 
 
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“Reichsschulungswalter
des Nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik”

Buchangebot mit Kurzbiografie des Autors, gefunden auf
http://www.zvab.com/buch-suchen/textsuche/lendvai-dircksen-reichsautobahn

Maier-Dorn, Emil: Deutschland - von Rußlands Gnaden? Ein Vierteljahrtausend deutsch-russische Beziehungen.  Selbstverlag Großaitingen 1972

"Emil Maier-Dorn (… 1908 - … 1986) war ein deutscher Schriftsteller, Reichsschulungswalter des Nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik (NSBDT) und Politiker der rechtsextremistischen Deutschen Reichspartei (DRP) und später der NPD. Dorn schloss sich ab 1933 der nationalsozialistischen Bewegung an, wo er erzieherisch und bildend tätig wurde. In dieser Zeit verfasste er Gedichte und schrieb Aufsätze zu unterschiedlichen Themen. Sein Hauptwerk galt der Reichsautobahn. Er textete unter andrem für die Fotografin Erna Lendvai-Dircksen. Als Reichsschulungswalter des Nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik unterrichtete er auf der Reichsschule der deutschen Technik, welche auf der Plassenburg bei Kulmbach eingerichtet worden war, nationalsozialistische Ideologie. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss er sich der Deutschen Reichspartei an. Mit Adolf von Thadden gründete er die NPD. Viele Jahre gehörte er dem Parteivorstand an und war stellvertretender Landesvorsitzender von Bayern. Er verfaßte verschiedene kurzgefaßte Stellungnahmen zu zeitgeschichtlichen Themen. Auflagenstark  war seine Publikation Anmerkungen zu Sebastian Haffner. (wikipedia) "



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Frontkaempfer-Ideal
Nimbus des Soldatischen
"Meine Ehre heisst Treue" (Wahlspruch der SS)
Geschichte der Menschheit als ein Ablauf von Rassenkaempfen
SS-Leithefte

Blutsgedanke
'Geographie und Geopolitik' als Schulungsthema
'Deutschland im Rohstoffkampf'

http://www.reto-stein.de/Weltanschauliche_Schulung.pdf



Bezeichnung 'Fuehrerbewerber' und Foerderung
Auswahl der 'wertvollsten Menschen' 
Napola Potsdam
'Besonderes Verfahren der Begabtenauslese'
Reichsschule Feldafing
'Auslese der Eindatzbereiten'

http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrSS-Schulung.pdf
 

Samstag, 16. Februar 2013

Zwangssterilisationen: Wohltat oder NS-Unrecht? – Ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden


Es geschah im November 2010 und ging auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Hype in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter:

Nach 70 Jahren erkannte erstmals eine bedeutende Fachgesellschaft für Heilberufe ohne Wenn und Aber die in der Zeit des “Dritten Reichs” durchgeführten Zwangssterilisationen als NS-Unrecht an.

„Geistiger Tod“, „Ballastexistenzen“, „lebensunwertes Leben“, all diese Worte gehen nur sehr schwer über die Lippen. Sie erschüttern und verstören zutiefst – und im Wissen um die aktive Beteiligung von Psychiatern an Gleichschaltung, Zwangssterilisierung und Mord erfüllen sie uns mit Scham, Zorn und großer Trauer.

Scham und Trauer auch darüber, dass erst jetzt, 70 Jahre nach den Taten, die Organisation, als deren Präsident ich hier zu Ihnen spreche, beginnt, sich systematisch mit ihrer Vergangenheit und der Geschichte ihrer Vorgängerorganisationen in der Zeit des Nationalsozialismus zu befassen, aufzuarbeiten, und – unabhängig von allen noch zu erhebenden historischen Details – bei den Opfern von Zwangsemigration, Zwangssterilisierung, Zwangsforschung und Ermordung, um Entschuldigung zu bitten.

Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde bitte ich Sie, die Opfer und deren Angehörige, um Verzeihung für das Leid und das Unrecht, das Ihnen in der Zeit des Nationalsozialismus im Namen der deutschen Psychiatrie und von deutschen Psychiaterinnen und Psychiatern angetan wurde, und für das viel zu lange Schweigen, Verharmlosen und Verdrängen der deutschen Psychiatrie in der Zeit danach.

Professor Frank Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
in seiner Rede “Psychiatrie im Nationalsozialismus - Erinnerung und Verantwortung”
Vom Vorstand der DGPPN am 23. November 2010 als Dokument der Gesellschaft einstimmig verabschiedet.

http://www.dgppn.de/dgppn/geschichte/kommission-zur-aufarbeitung-der-geschichte/sonderseite-psychiatrie-im-nationalsozialismus/rede-schneider.html




Ich halte es inzwischen nicht mehr für Unwissen, dass Thilo Sarrazin Gunnar Myrdal, den schwedischen Sozialdemokraten, der Zwangssterilisationen als ein Mittel zur Verbesserung der “Bevölkerungsqualität” propagierte und in Schweden auch durchsetzte, als Vordenker lobte (natürlich ohne die Zwangssterilisationen zu erwähnen).


Damit verschärft sich das Problem, dass am unteren Ende der Begabungs- und Qualifikationspyramide die Nachfrage und am oberen Ende das Angebot zu gering ist. … Es gilt …, die Probleme zu lösen, die die Existenz des Sozialstaats bedrohen. Wie sich Quantität und Qualität dabei auswirken, darauf hat schon ein früher Theoretiker des Sozialstaats wie Gunnar Myrdal hingewiesen …
Der schwedische Soziologe Gunnar Myrdal hat sich am Beispiel seines Heimatlandes bereits in den 1930er Jahren intensiv damit auseinandergesetzt, dass eine entwickelte westliche Gesellschaft in der Summe die Tendenz hat, weniger fruchtbar zu sein, als es für die Nachhaltigkeit ihres Fortbestandes notwendig wäre, und er hat sich auch damit auseinandergesetzt, dass es darüber hinaus nicht gleichgültig ist, wer die Kinder bekommt.
Thilo Sarrazin, DSSA

Sondern ich bin zu der Auffassung gekommen: Thilo Sarrazin muss klar gewesen sein, dass Gunnar Myrdal, mit dessen Erbe sich die schwedischen Sozialdemokraten differenziert und kritisch auseinandersetzen, eben auch für das Kapitel “Zwangssterilisationen” steht. Und er findet dies gut.
Da Sarrazin selbst - in DSSA und einigen Interviews - stolz auf einige, wenn auch stark ausgewählte Aspekte seines familiären Hintergrunds hinweist, sei es gestattet, hier auch die Frage zu stellen, inwieweit Bücher und Ideen aus der Sammlung seines Vaters Hans-Christian Sarrazin (und nicht nur die Goethe-Bücher) seine Vorstellungen von der Welt, wie sie sein sollte, geprägt haben. Als Truppenarzt, Arzt an einem Knappschaftskrankenhaus und langjähriger Gutachter für die Sozialgerichte wird Hans-Christian Sarrazin, ebenso wie sein Rotary-Club-Gefährte Gustav Schulte, der prominente Chefarzt am Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen in den 1940er und frühen 1950er Jahren, an der Auseinandersetzung mit der Frage, ob Zwangssterilisationen “Wohltat” oder Unrecht seien, nicht vorbei gekommen sein.

Zwar ließ sich Thilo Sarrazin, wie er bei einer Veranstaltung sagte, Pressemitteilungen, die später in das Buch eingingen, von seinen Sekretärinnen sammeln. Ihm stand nicht – Vorsicht, Satire - wie Guttenberg bei seiner Doktorarbeit der wissenschaftliche Dienst des Bundestags zur Verfügung. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er von der Debatte um Zwangssterilisationen, und damit auch von der Rolle Gunnar Myrdals in Schweden, nichts mitbekommen haben sollte.

Dieser Post soll nach und nach ergänzt werden, vor allem mit Querverweisen auf andere Posts und Kommentare in diesem Blog. In der Zwischenzeit verweise ich auf Stichwortsuche und auf die Labels.



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Durch den Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 13.03.1934 waren das evangelische Krankenhaus in Castrop-Rauxel zur Durchführung von Zwangssterilisationen bei Männern und das Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen zur Durchführung von Zwangssterilisationen bei Frauen und Männern und mit Runderlass vom 01.07.1936 sogar zur Durchführung der Zwangssterilisation mit Röntgen- und Radiumbestrahlung ermächtigt worden. Im evangelischen Krankenhaus wurden 62 Eingriffe vorgenommen. Im Knappschaftskrankenhaus dürfte es das Vielfache dessen gewesen sein. Leider sind die entsprechenden Akten in beiden Krankenhäusern vernichtet worden. Aufschluss dürften da nur noch die über 3000 Akten aus Verfahren der sog. Erbgesundheitsgerichte in etwa 800 Kisten im Landesarchiv NRW geben.

Aus dem Aufruf “Den Opfern der Euthanasie einen Namen geben”, 19. Januar 2012



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"Die Angehörigen der Führungsschichten und der Bürokratie
waren zu 90 Prozent willige Helfer der Nazidiktatur gewesen;
das wirkte sich aber keineswegs auf ihre Effizienz beim Wiederaufbau aus."
 
Thilo Sarrazin, DSSA


Prof. Dr. med. Gustav Schulte (1888 – 1954)

Verfasser eines 1942 erstmals erschienenen Lehrbuchs der Röntgenologie
Langjähriger Chefarzt am Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen,
das in der Nazi-Zeit die Befugnis und den Auftrag hatte, Zwangssterilisationen mit Röntgenstrahlen durchzuführen

1950 zum Ehrenbürger der Stadt Recklinghausen ernannt

Bild: Gefunden auf ebn24 – European Business Network, Beitrag:
“Sie trugen den Namen der Stadt in die Welt - berühmte Persönlichkeiten Recklinghausens”
http://ebn24.com/index.php?id=32089

War er auch einige Zeit Chef von Thilo Sarrazins Vater Hans-Christian Sarrazin?
Das kann man durchaus "kombinieren", mit Sicherheit feststellen lässt sich dies aber mit den zugänglichen Informationen nicht ohne Weiteres.
Und wenn, müsste es für sich allein auch nicht viel heißen - im Zusammenhang mit Thilo Sarrazins eugenischen Thesen wäre aber u.U. der Aspekt "Ideengeschichte" interessant.




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Ehrenmitglied unserer Gesellschaft“


Nachruf
„Am 29. November 1971 verließ uns das Ehrenmitglied unserer Gesellschaft
Professor Dr. med. Friedrich Pietrusky
[…]
Von Bonn aus begründete er die Internationale Akademie für Gerichtliche und Soziale Medizin, er organisierte und leitete deren erste Tagung in Bonn. Im Jahre 1942 folgte Pietrusky einer Berufung nach Heidelberg, hier war die Einrichtung eines Instituts für gerichtliche Medizin sein besonderes Verdienst. Nach seiner Emeritierung zog er nach Pöcking am Starnberger See.
[…] Er war […] viele Jahre hindurch auch Mitherausgeber der Deutschen Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin. […] Pietrusky war gewähltes Mitglied der Leopoldina in Halle und Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften.
Er war ein glänzender Lehrer. Drei seiner Mitarbeiter hatten Lehrstühle inne.“
B. Mueller, Heidelberg
Zeitschrift für Rechtsmedizin, April 1972, Volume 70, Issue 2, p I



„Wie ich vom Verlag Heymann höre, ist unser Buch jetzt im Druck. Dieser verzögerte sich, weil man den Abschnitt über die Vernichtung lebensunwerter Wesen, für den ich eintrat, nicht aufnehmen wollte. Hoffentlich erscheint die Auflage noch in diesem Jahr.“
Friedrich Pietrusky
in einem Brief an Mitautor Maximilian de Crinis, 5.10.1942
Zitiert in
Forsbach, Ralf, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im "Dritten Reich",
Oldenborg, München, 2006 (S. 126)
http://books.google.com/books?id=i74vCJxizH4C&source=gbs_navlinks_s

 

Nachrufverfasser B. Mueller war Prof. Dr. Berthold Mueller, der 1948 den Lehrstuhl für gerichtliche Medizin der Universtät Heidelberg übernommen hatte.
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000003751/6_Kap_05.pdf?hosts=
(S. 299)