Bis heute hält sich in etlichen, gar
nicht so kleinen Nischen die Vorstellung, die Idee vom “Dritten Reich” – vereinfacht
gesagt, von der der Überwindung des “Klassenkampfs” durch biologisch verstandende
Volksgemeinschaft und Kampf gegen “Minderwertigkeit” - sei doch eigentlich gut
gewesen, hätten nur Hitler
und Konsorten sie nicht pervertiert, bzw. wären die Deutschen nicht von dieser
Handvoll Verbrecher verführt worden.
Diese Nischen finden sich nicht nur in
rechtsextremen Parteien und Bewegungen, sondern auch in den etablierten
Parteien, einschließlich der
SPD. Insofern kann sich Sarrazin im Recht fühlen, wenn
er seine Ideen für “sozialdemokratisch” hält. Wie Tilman Fichter, ein maßgeblicher
Unterstützer des ominösen “Hofgeismarkreises” in der SPD, schon 1994 sagte
(s.u.): "Die heutige SPD ist eine erstaunlich liberale Partei. ... Ich
trete seit vielen Jahren für die Freiheit der Andersdenkenden ein. ... “
Es gibt deutliche Berührungspunkte zwischen den eugenisch-völkischen
Positionen des historischen und wiederbelebten Hofgeismarkreises und denen von
Thilo Sarrazin.
Abbildung links: Wappen des Hofgeismarkreises auf der Publikation “Der
Hofgeismarkreis der Jungsozialisten” von Sascha Jung (1998)
Beide
Abbildungen stammen von einer Webseite des “Hofgeismarkreises”. Im dem dazugehörigen Artikel
wird Ploetz zustimmend zitiert und Thilo Sarrazin mit dem Argument unterstützt,
dass “Biopolitik auch ein traditionell sozialdemokratisches Anliegen war”.
Den Artikel "Rechte Genossen” von Peter Kratz
(1999) auf http://www.bifff-berlin.de/SPD4.htm
fand Google mit der Suchkombination “Hans F. K. Günther” UND Hofgeismar. Es
ging bei der Suche um ein schnelles Abchecken, ob es Bezüge geben könnte
zwischen dem Nazi-“Rassepapst” Hans F. K. Günther und dem in Hofgeismar
geborenen Journalisten und Verleger Joachim Günther alias Johann Siering (1905
– 1990), der in der Nachkriegszeit einige Jahre mit Paul Fechter
zusammenarbeitete. Zusammen mit Fechter gab Joachim Günther (Siering) die 1954 gegründete
Zeitschrift “Neue Deutsche Hefte” heraus. Joachim Günther war Sohn eines Bürgermeisters
von Hofgeismar; als sich 1923 überwiegend
rechte Jungsozialisten in Hofgeismar trafen und den “Hofgeismarkreis” gründeten,
war er 18 Jahre alt. (Hans F. K. Günther wird in dem Artikel von Peter Kratz erwähnt.
Joachim Günther kommt nicht darin vor; aber dass er
einer von den rd. 100 Jugendlichen war, die an dem “Event” teilnahmen, kann man
mit einiger Berechtigung vermuten.)
Paul Fechter wiederum, daher mein Interesse an
seinen Netzwerken, war ein Mentor des Arzt-Dichters Hans-Christian Sarrazin (Vater
von Thilo Sarrazin); er verfasste in der Nazi-Zeit u.a. eine lobhudelnde
Biographie des Schöpfers des Begriffs “Drittes Reich”, Arthur Moeller van den Bruck.
Durch diese Suche (siehe auch Post “Mehr zum Thema Nostalgie”) stie
ß ich auf den Begriff “Hofgeismarkreis”
und den Artikel von Peter Kratz.
Auszug:
Eine keineswegs randständige Erscheinung sind die
neuen Fascho-Jusos aus Sachsen, die sich 1992/93 im wiederbelebten
"Hofgeismarkreis" zusammenfanden und für ihre nationalistische Agitation
die Büroinfrastruktur der SPD in Leipzig nutzen konnten. Ihre Ideen haben
inzwischen große Teile der ostdeutschen SPD-Jugend beeinflußt.
Weitgehend unbekannt ist es bisher geblieben, daß
an der Basis der ostdeutschen Juso-Verbände eine nationale Orientierung
vorherrscht, auch wenn man sich nach außen hin von einigen Eskapaden der
Leipziger distanzierte, wie z. B. von ihrem öffentlich bekundeten Verständnis
für den ausländerfeindlichen Pogrom von Rostock-Lichtenhagen.
Weil der SPD-Nachwuchs in Ostdeutschland nur wenige
Mitglieder zählt, die sich zudem scharf nach links gegen die PDS-Konkurrenz
abgrenzen, kann eine kleine, gut organisierte rechte Gruppe hier einiges
bewirken, erst recht, wenn sie von den Parteioberen geduldet wird. "Wir
als sächsische Jusos haben versucht, über inhaltliche Arbeit die Hofgeismarer
ins Vereinsleben einzubinden", meinte der dortige Landesvorstand noch im
Januar 1995. Die Fascho-Jusos selbst schrieben im April 1995 über sich:
"Für die Leipziger Jusos verlief die Juso-Landeskonferenz im Wesentlichen
erfolgreich. Sie haben sowohl ihre inhaltlichen und strukturellen Positionen
als auch ihre Personalvorschläge großenteils durchsetzen können."
Der neue "Hofgeismarkreis der Jungsozialisten
Deutschlands", wie sich die Gruppe um Sascha Jung, Harald Heinze, Dirk
Larisch und Heiko Oßwald nennt, hat ihren historischen Namen mit Bedacht
gewählt. Zu Ostern 1923 trafen sich über 100 überwiegend rechte Jungsozialisten
in dem mitteldeutschen Städtchen Hofgeismar. Sie waren von der überwiegend
bürgerlich bestimmten Lebensreformbewegung und ihrem völkisch-religiösen Kitsch
angetan und aufgewühlt von der gerade erfolgten Besetzung des Ruhrgebietes
durch das französische Kapital, das sich wegen der Ausplünderung des
lothringischen Kohle- und Stahlreviers durch das deutsche Kapital seit 1871 und
der Kosten des Weltkriegs schadlos halten wollte. Die intellektuellen Anführer
dieser Gruppe, die sich fortan "Hofgeismarkreis der Jungsozialisten"
nannte und in scharfer Opposition zur marxistischen Juso-Mehrheit der 20er
Jahre stand, orientierten den anfänglichen Kitsch auf die völkisch-elitären
Ideen der Konservativen Revolution, auf einen "Sozialismus", den sie
mit Oswald Spengler "preußisch" und mit Otto Strasser
"deutsch" nannten. Er entsprach der
"Kriegssozialismus"-Demagogie des rechten SPD-Flügels. Die
Verständigungspolitik, die die SPD ab 1919/20 im Reichstag gegenüber den
Siegern des Weltkriegs verfocht, wurde von ihnen als Verrat an der Nation
bekämpft. Sie wollten Revanche und den Sieg Deutschlands als den Sieg ihres
"Sozialismus", wie 1914/15.
Otto-Ernst Schüddekopf, ein Sympathisant der
Nationalrevolutionäre, formulierte das Ziel der 1923er Hofgeismar-Politik in
seinem Buch "Linke Leute von rechts" 1960 so: "Frieden sei
Nichtkrieg und man könne nicht sagen: Frieden um jeden Preis. Das Ziel müsse
die revolutionäre Verwandlung der Zivilisationswelt sein, nicht zu einem
Paradies, sondern zu einem heroischen Dasein." Die Hofgeismarer waren
gegen den Völkerbund und gegen Konfliktregelungsinstitutionen. Sie
befürchteten, Deutschland solle Aufmarsch- und Kriegsgebiet für eine
west-östliche Auseinandersetzung zwischen den USA, Frankreich und England
einerseits und der jungen Sowjetunion andererseits werden - "Glacis".
Das Jahr 1923 war das turbulenteste der jungen Republik. Im Januar hatten die
französischen Truppen das Ruhrgebiet besetzt, um die Kohlelieferungen nach
Frankreich sicherstellten. Gegen die fremden Besatzer lebten die "Ideen
von 1914" wieder auf, die bürgerliche Weimarer Republik unter Friedrich
Ebert fand sich vereint im passiven Widerstand, der die Wirtschaft
zusammenbrechen ließ, und nur einige Unternehmer - wie Hugo Stinnes -
verdienten durch Spekulationen kräftig an dieser Situation. Die SPD trat im
Sommer wieder in die Reichsregierung einer Großen Koalition ein; ihr linker
Flügel bildete dagegen im Oktober in Thüringen und Sachsen
Volksfrontregierungen mit der KPD […]; Ebert ließ die Reichswehr gegen die
SPD/KPD-Regierungen marschieren und betraute den Reichswehr-General von Seeckt
mit der zeitweiligen Militärdiktatur über das Reich […]; die SPD trat wieder
aus der Reichsregierung aus, stimmte aber im Reichstag zweimal den ersten
Ermächtigungs-gesetzen zu, die […] drastische Verschlechterungen der sozialen
Bedingungen zur Folge hatten […]; der Währungskommissar der Reichsregierung,
Hjalmar Schacht, bekämpfte mit windigen Finanzkonstruktion die Inflation der Reichsmark
[..].
Das Juso-Treffen vom April 1923 geriet flugs zu einem quasireligiösen germanen-tümelnden
Lichtfest mit Rezitationen völkischer Gedichte und Beschwörungen der
"Ideen von 1914". Reden und Referate waren bestimmt von Tiraden gegen
die Demokratie, die sie als dem "deutschen Volkscharakter" angeblich
unangemessen betrachteten, und gegen den Versailler Friedensvertrag. Ihre
Agitation reichte bis zum Aufruf für einen Revanchekrieg gegen Frankreich, um
die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs zu revidieren. Miefig-piefig wurde
Nietzsches "Feuerspruch" an lodernden Flammen theatralisch
vorgetragen, und die Jubelrufe "Es lebe Deutschland!" prägten die
Stimmung an diesem Osterfest, das die Hofgeismarer Jusos heidnisch statt
christlich feierten. [...]
Statt dessen wurden die "Stahlgewitter"
(Ernst Jünger) der sinnlosen Materialschlachten mit den Krupp-Kanonen heldisch
verklärt, Deutschtum beschworen und einer hierarchischen ständestaatlichen
Gesellschaft mit Führern an der Spitze das Wort geredet. Die Aufbruchstimmung
dieser Zeit, die sich aus den furchtbaren Lehren des Ersten Weltkriegs ebenso
speiste wie aus dem neuen Selbstbewußtsein nach den gewonnenen Revolutionen,
eine Stimmung, die große Teile der Arbeiterbewegung und der kritischen
Intelligenz bestimmte, wurde antiemanzipatorisch gewendet, nach rechts, zu
einem irrealen Heroismus eines siegreichen Deutschland über allem in der Welt.
Es war Reichspräsident Friedrich Ebert, der 1922 das Deutschlandlied Hoffman
von Fallerslebens als Nationalhymne durchsetzte, Kurt Schumacher half dabei, es
1952 gegen breiten Widerstand in allen politischen Lagern erneut durchzusetzen.
Der Hofgeismarkreis war Teil derselben Atmosphäre
des Jahres 1923, in der Ebert und die Reichsregierung - darunter
SPD-Justizminister Gustav Radbruch, Monate vorher Gründungsmitglied des
Hofgeismarkreises - die legalen SPD/KPD-Volksfrontregierungen kurzerhand
absetzen ließen, aber gegen die illegale rechtsputschistische bayrische
Landesregierung tatenlos blieben. Wiederum, wie 1918/19, galt es vor allem, die
antikapitalistische Linke zu schwächen, ideologisch und notfalls militärisch.
So wundert es nicht, daß die Hofgeismarer auch praktisch wurden: Einige
kämpften in Freikorps an Rhein und Ruhr gegen Kommunisten, Anarchisten und
rheinische Separatisten, um in dem Chaos des Jahres 1923 wenigsten die Einheit
der deutschen Nation zu erhalten, die sie wie 1914 mit dem Sozialismus
verwechselten.
Der Hofgeismarer Karl Bröger, der später
"Gauführer" der faschistoiden Organisation "Reichsbanner"
wurde, eröffnete das 1923er Treffen. Er war ein verquaster Schwarmgeist, den
man als "Arbeiterdichter" mißverstand. So wird er noch 1993 im
"Vorwärts" bezeichnet. In Wahrheit kämpfte Bröger romantizistisch und
treudeutsch gegen die Weimarer Moderne, in der Dadaismus, Agitprop, politische
Revue aufblühten, in der die wahren linken Autoren Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger,
Alfred Döblin, Kurt Tucholsky hießen und Bert Brecht sich mit seinen ersten
Theaterstücke bereits als anerkannter Dramatiker durchgesetzt hatte. Gegen sie
verzapfte Bröger am Hofgeismarer Osterfeuer völkischen Mist. Die
"Jungsozialistischen Blätter" druckten seinen Vortrag: "Wer
recht tief aus wohlverstandenem deutschen Geiste lebt, muß Sozialist sein, und
viele Züge unseres Volkstums, selbst so lächerliche wie die deutsche
Vereinsmeierei, deuten auf die innere Verbundenheit von deutscher Art zum
Sozialismus." […]
"Als Mensch ist der blonde Brite uns natürlich tausendfach mehr
sympathisch als sein schwarzer Bundesgenosse: der Franzmann", schrieb
damals ein anderer Hofgeismarer. Die "Fiktion der Gleichheit" der
Menschen wurde von dem Kreis bekämpft, den Säbel ließ man kräftig rasseln:
"Wir fühlen uns als Enkel jener Germanen, die das römische Joch brachen.
Unsere Gedanken folgen den Spuren der Ordensritter nach Osten." Hofgeismar
sollte der Anbruch der Epoche "des schaffenden Mannes" und seiner
"reifen Männlichkeit" sein. "Du bist nichts, Dein Volk ist
alles", schrieb Heirich Deist 1924 im "Politischen Rundbrief des
Hofgeismarkreises", "das Individuum ist nichts ohne die Verwurzelung
im Volk." Deist wurde 1931 persönlicher Referent des preußischen
Innenministers Carl Severing war von 1953 bis 1964 SPD-Bundestagsabgeordneter,
einige Zeit auch Vorsitzender des Wirtschafts- und Finanzausschusses des
Europäischen Parlaments.
Mitte der 20er Jahre vertraten Hofgeismarer dann
auch offen antisemitische Positionen.
So war es nur folgerichtig, daß ein erheblicher
Teil zum Ende der 20er Jahre hin aus der SPD austrat und sich den Zirkeln der
Konservativen Revolution auch organisatorisch anschloß. In ihrer faschistischen
Ideologie bestärkt wurden diese Jusos von Ideologen, die bis heute innerhalb
der SPD als vermeintlich sozialdemokratische Denker in Ehren gehalten werden,
vor allem Hermann Heller, auch Hendrik de Man und Ernst Niekisch, als dessen
Hausmacht die Hofgeismarer schließlich galten. Der linke Jungsozialist Jörg
Weltzer wies 1993 in seiner Arbeit über den historischen Hofgeismarkreis und
den Einfluß Niekischs nach, daß sich die Führer der Hofgeismarer bereits auf
dem Weg der Konservativen Revolution befanden, bevor Heller, de Man und
Niekisch in den Jahren 1924/25 ihre Positionen systematisierten. So habe man
sich sogleich mit den Aussagen des Buches "Das dritte Reich", das
Arthur Moeller van den Bruck 1923 herausgebracht hatte, identifiziert. […]
- [Einschub: Niekisch als Vorbild fuer "Neuen Widerstand" ("New Resistance"): http://openrevolt.info/2011/10/13/ernst-niekisch-widerstand/]
Hermann Heller war im Sinne der Antisemiten
jüdischer Abstammung, kam aus großbürgerlichem Hause und wurde Staatsrechtler.
1922 hatte er die Leitung des Volksbildungsamtes (Volkshochschule) der Stadt
Leipzig übernommen und baute hier später einen starken Kreis der Hofgeismarer
auf. Er kehrte 1933 von einer Auslandsreise nicht mehr ins faschistische
Deutschland zurück und starb im gleichen Jahr. 1925 hatte er in seinem Buch
"Sozialismus und Nation" Grundpositionen der Hofgeismarer
veröffentlicht. Auf der Reichskonferenz der Jungsozialisten 1925, wo er zu
seinem Buch sprach, scharten sich die Hofgeismarer um ihn. In seinem Vortrag
vertrat er als erklärter Gegner marxistischen und internationalistischen
Denkens und der Idee der Gleichheit der Menschen ungeschminkt eine
Blut-und-Boden-Mystik, wie sie - um den Antisemitismus ergänzt - bei den Nazis
üblich war. Er sprach davon, daß jeweilige "Blutsverfestigung" die
angeblich verschiedenen körperlichen Eigenarten der europäischen Völker
bestimme und die Sozialisten diese Völker als jeweilige Schicksals- und
Kulturgemeinschaften anerkennen müßten. […] "Sozialismus bedeutet ...
nicht die Vernichtung der nationalen Volksgemeinschaft durch die Klasse,
sondern die Vernichtung der Klasse durch eine wahrhaft nationale
Volksgemeinschaft."
Heller war ein Querfront-Stratege, der die
nationale Bewegung der Weimarer Zeit mit einem vom Marxismus gereinigten
"Sozialismus" zusammenbringen wollte. Ihm schwebte ein
nationalrevolutionärer, europäischer Bundesstaat zwischen dem Rußland der
Bolschewiki und dem Amerika des vermeintlich jüdischen Kapitalismus vor. Dabei
begriff er nicht, daß sein Rassismus sich einmal gegen ihn selbst wenden
könnte. Begeisterter Verfechter der "Ideen von 1914" - heute würde
man ihn wohl mit der Bezeichnung "deutsch-jüdischer Patriot"
verharmlosen -, war er ein Gegner von gleichen Menschenrechten mit weltweiter
Geltung. Stattdessen favorisierte er ein kulturrelativistisches,
ethnopluralistisches Recht, das andere schließlich - in Eisen geschmiedet am
Eingangstor zum KZ Buchenwald - in dem Spruch "Jedem das Seine"
zusammenfaßten und hinter dem Tor praktisch werden ließen. Heller gehörte auch
zu denjenigen, die Hegels staatsphilosophische Überlegungen für den
nationalistischen und autoritären "Machtstaat" nutzbar machten. Seine
Definition der Souveränität des Staates unterschied sich nicht von der Carl
Schmitts, der die Verfügung über den Ausnahmezustand, d. h. die Möglichkeit zur
Errichtung der Diktatur, als Kriterium der Souveränität eines angeblich über
den Interessenkonflikten stehenden abtrakten Staates ansah. Mit Schmitt - ein
erklärter Gegner der Weimarer Republik - war Heller privat freundschaftlich
verbunden. Hellers Idee eines völkisch-rassistisch fundierten "nationalen
Kultursozialismus" verneinte die Klassengegensätze und setzte stattdessen
auf eine "Gemeinschaft", die ihre vermeintliche Homogenität über
gemeinsame Werte, einen gemeinsamen Willen und die Tat erlange, die allesamt
aus "Blut" und "Boden" erwüchsen. Es sollte wieder einmal
der "gute Führer" sein, der die Gemeinschaft leitet. Er nannte ihn
"Herr".
Heller gehörte 1932 zu denen, die die Weimarer
Demokratie wiederbeleben wollten, nachdem sie sie zu Tode gebracht hatten. Als
die SPD-Fraktion des preußischen Landtags nach dem Papen-Schleicher-Putsch
gegen die preußische Staatsregierung vor den Staatsgerichtshof zog und klagte [...],
wurde sie vom Staatsrechtler Heller vertreten. Auf der Bank der gegnerischen
Partei, der Putschisten, saß sein Freund Carl Schmitt, und die ganze
Angelegenheit bekam den Charakter eines sportlichen Wettstreits zwischen
Wissenschaftlern der Juristerei. Daß Schmitt, der später als
"Kronjurist" der Nazis die Diktatur
"rechtswissenschaftlich" rechtfertigte, in den frühen 30ern auch ein
enger politischer Freund und Berater Kurt von Schleichers war, zeigt erneut,
wie vernetzt die antidemokratische, antiliberale und antisozialistische
Intellektuellenszene dieser Zeit war.
Peter Glotz nahm Heller in das Buch "Vorbilder
für Deutsche" auf, das er 1974 erstmals, 1986 erneut herausgab. "Wir
sind der Meinung, daß die in diesem Buch vertretenen Figuren die vergessene,
verdrängte und verschlampte Tradition der sozialen Demokratie in Deutschland
repräsentieren", hieß es in der Einleitung. Eine Kritik von Hellers
Positionen enthiel das Buch nicht. Im Juli 1991 brachte NG/FH einen unkritisch
positiven Artikel über Heller: "Gerade jetzt, wo sich für das vereinigte
Deutschland erneut die Verfassungsfrage stellt, ist es wichtig, sich Hellers zu
erinnern." In der 1984 erschienenen "Gedächtnisschrift für Hermann
Heller 1891 - 1933" mit dem Titel "Der soziale Rechtsstaat"
empfahl der SPD-nahe Rechtsextremismus-Forscher Eike Hennig das vermeintliche
Vorbild Heller; Hennig, der auch in NG/FH schrieb, war später Autor in
"wir selbst" und Interviewpartner der "Jungen Freiheit".
Hendrik de Man gab mit seinen völkisch-religiösen
Ideen, die er 1927 in dem Buch "Zur Psychologie des Sozialismus"
zusammenfaßte, einen weiteren Schub in die Richtung des Irrationalismus. Er
stand von Anfang an in engem Kontakt mit den Hofgeismarern, die er mit
Vorträgen schulte. Er war ein Anhänger planerischer, halbstaatlicher
Wirtschaftskonzepte wie des "Kriegssozialismus", schloß sich später
dem flämischen Faschismus an, war der nazi-deutschen Besatzung in Belgien zu
Diensten und 1944 vom befreiten Belgien als Kollaborateur verurteilt. Er starb
im schweizerischen "Exil", auf der Flucht vor seinen
antifaschistischen Richtern. Sein Buch von 1927 widmete er den Hofgeismarer
Jusos, die ihn in ihren Schriften als geistigen Führer verehrt. Im Gefolge der
konservativ-revolutionären Elitetheoretiker Gustave Le Bon (Frankreich) und
Vilfredo Pareto (Italien), die die europäische "Neue Rechte" heute zu
ihren historischen Vordenkern zählt, verachtete de Man "die Massen"
und die parlamentarische Demokratie, weil sie verantwortlich seien für einen
angeblichen "Kulturverfall". Er strebte einen antidemokratischen
Elite-"Sozialismus" an, der nicht Sache einer Klasse sondern eines
Volkes sei und der auch nicht etwa - wie bei der marxistischen Arbeiterbewegung
- die materielle Not der Massen beseitigen sollte, sondern als psychische
"Gefühlsreaktion" von "Gebildeten" aus dem Bürgertum und
dem Adel einen einheitlichen völkischen "Willen" hervorrufen sollte.
De Man verstand sich als antimarxistischer,
religiös motivierter Sozialist und gehört in den breiten Strom der
Völkisch-Religiösen der 20er Jahre, der in den Kirchenkampf der Nazis mündete.
Besonders der Kitsch, den de Man um quasireligiöse germanische Lichtfeste und
Arbeitskult aufbaute, imponierte etlichen Hofgeismarern. Heute knüpft Henning
Eichberg bei seiner faschistischen Interpretation des Maifeiertages an solche
Positionen de Mans an, Karl-Heinz Klär druckte dies im "Lexikon des Sozialismus"
ab. 1943 begrüßte de Man in dem Nazi-Blatt "Europäische Revue" - hier
schrieben gleichzeitig mit ihm auch der italienische Rassist Julius Evola,
heute ein Ahne der "Neuen Rechten", oder der spanische
Elitetheoretiker José Ortega y Gasset - dann indirekt den Überfall der
Nazi-Wehrmacht auf das neutrale Belgien. Die Militäraktion sei die Beendigung
des "veralteten Systems" der parlamentarischen Demokratie und
beinhalte die Chance für eine "neue Ordnung" des siegreichen,
angeblich "natürlichen" Nationalismus. Nach 1945 traf er sich häufig
mit dem Goebbels-Staatsekretär Naumann, der den Neofaschismus zu formieren
versuchte. […]
Favorit der historischen Hofgeismarer war Ernst
Niekisch, der lange Zeit als der bedeutendste Konkurrent Hitlers um die
Führungsposition der antidemokratischen rassistischen Rechten in Deutschland
galt, weil er selbst der sozialistischen Bewegung der unmittelbaren
Nachkriegszeit entstammte und bis 1926 Mitglied der SPD war. Niekisch hatte
damit - wie z. B. auch die Führer des italienischen Faschismus - den Vorteil
des sozialistischen Stallgeruchs, den sich die kleinbürgerliche NSDAP Hitlers
erst mühsam mit Hilfe der nationalrevolutionären Strasser-Brüder anzuheften
versuchte. Niekisch gehörte zu den extremsten Rassisten, Antidemokraten und
Nationalisten am Ende der Weimarer Republik. Seine auch antisemitisch
begründete Mordhetze gegen Marxisten, Liberale und Christen stand der eines
Juluis Streicher - Chefredakteur des Nazi-Blattes "Der Stürmer" -
kaum nach. Aber auch seine Schriften aus der Hofgeismar-Zeit - meist Artikel,
die von diesen Jusos begierig gelesen und verbreitet wurden und die Niekisch
selbst später zu Büchern ausbaute - und seine Redeauftritte bei den
Hofgeismarern trugen bereits diese Handschrift.
Niekisch machte Politik gegen "den
Westen", "das Welsche", den Liberalismus und Marxismus, gegen
den Ausgang des Ersten Weltkriegs. Seine Devise lautete nach Nietzsche:
"Gesundes und starkes Leben ist Wille zur Macht." Deutschland müsse
wieder zur alten Größe aufsteigen, die Kriegsniederlage rückgängig machen. Sein
Begriff des "Widerstands" war gegen "Versailles" gerichtet,
also gegen den Friedensvertrag von 1919, der im Spiegelsaal des französischen
Königsschlosses unterzeichnet worden war, und nicht - wie Neofaschisten
zeitweise glauben machen wollten - gegen die Nazis, die ihn als einen lästigen
Konkurrenten später verfolgten. "Widerstand" hieß dann auch Niekischs
eigener politischer Zirkel und seine Zeitschrift. Der Begriff, so verstanden,
stammte von Arthur Moeller van den Bruck. 1929 schrieb Niekisch in dem Buch
"Gedanken über deutsche Politik": "Das deutsche Volk verurteilte
sich selbst; indem es demokratisch wurde, hatte es jene Wertmaßstäbe gewählt,
durch die seine frühere Art zu sein verdammt wurde. ... Damit wurde das
deutsche Volk ein entwurzeltes Volk, dem sein geistiges Gesetz von außen her
aufgezwungen wurde." […]
Auch Sätze wie die folgenden hatte Niekisch bereits
vorher in ähnlicher Form bei den Hofgeismarern vertreten, die sich an der
"reifen Männlichkeit" deutscher Militaristen begeisterten und deren
Schriften von antifeministischen Ausfällen voll waren: "Deutschlands Heil
liegt nicht bei Girls", so Niekisch 1929, "liegt nicht bei
emanzipierten Frauen; für Deutschland ist der Feminismus mit all seinen pazifistischen,
humanitären, ethisierenden und ökonomisierenden Masken der politische Krebs.
Deutschland hat es zu schwer, als daß es sein Schicksal Weibern anvertrauen
dürfte." […]
Er beschwor die "Aufwallungen jener
germanischen Zornmütigkeit, die lieber tot als Sklave der Welschen sein
möchte." "Seit Jahrhunderten ist das Christentum am Werk, das
Germanisch-Heroische zu domestizieren und für die romanische Knechtschaft reif
zu machen", eine These, die man heute in den Büchern von Sigrid Hunke oder
Alain de Benoist antrifft.
Niekisch forderte eine "Selbstreinigung des
deutschen Blutes von romanischem Erbgut" und im Kapitel "Der Mut zum
Abgrund" nahm er die Praxis von Auschwitz gedanklich vorweg: "Weil es
um Sein oder Nichtsein geht, bleibt Deutschland, wenn es sich selbst erhalten
will, das Schwerste nicht erspart: die Bartholomäusnacht und Sizilianische
Vesper gegen alles, was an Welschem in ihm lebt. […] Niekisch [hetzte] bereits
in "Gedanken über deutsche Politik": "Nie kann der Jude, auch
wenn er besten Willens und edelster Absichten voll ist, Führer des
andersgearteten Volkes sein; er ist nicht Fleisch und Blut von dessen Fleisch
und Blut; für dessen Takt, Rhythmus, Gerichtetsein fehlt ihm das Organ: einem
anderen, ihm eingeborenen Takt, Rhythmus, Gerichtetsein gehorcht er; wo er
führt, unterwirft er das andersgeartete Volk einer fremden Gesetzlichkeit; er
vergewaltigt es. Es ist für ein jedes Volk ein Zeichen geschwächten
Lebenswillens, wenn Juden nach seiner politischen Führung streben dürfen."
Niekisch forderte von den Deutschen "Gehorsam,
Disziplin, Unterordnung, Treue, Hingabefähigkeit, Dienstwilligkeit" und
die Hinwendung zum deutschen Bauerntum […]. "Ländlicher werden heißt ärmer
und primitiver werden, vielleicht auch roher und barbarischer, sicher aber auch
wieder deutscher", so Niekisch. "Barbarismus trägt sein Recht in
sich, wo er Kraft und insbesondere, wo er die Kraft deutscher
Selbstverteidigung ist. Dem deutschen Volke tut der Mut zu seinem Barbarentum
not; seine Stärke ruht in Germaniens Wäldern; je tiefer es sich dorthin
zurückzieht, desto mehr findet es sich selbst. Es braucht die Schluchten des
Teutoburger Waldes, um den Welschen die Köpfe abschlagen zu können."
"Seine innere Haltung ist entscheidend: daß es in der westlichen Zivilisation
seinen Abgrund und in der Abkehr davon sein Heil erblicke." Und
schließlich Niekischs Vision: "Deutschland hört auf, noch mehr
Zivilisation zu wollen; wird es durch seine Haltung sogar Ursache ihrer
Vernichtung, so weicht es auch vor dieser geschichtlichen Mission nicht
zurück." Als Erfüllung dieser Ideen vom kargen, heldischen Deutschtum galt
ihm der 4. August 1914, weil vom ersten Tag des Ersten Weltkriegs an das
"selbstisch-materialistische Wesen vom deutschen Menschen wie eine Schale
abfiel, die seinen wahren heldischen Kern, der auch im verstädterten
Proletarier noch versteckt liegt, verdeckt hatte". In modernen Worten
ausgedrückt, wandte sich Niekisch 1930 in dem Buch "Entscheidung"
gegen den angeblichen Hedonismus der breiten Bevölkerung.
1932 schrieb er das kleine Buch "Hitler - ein
deutsches Verhängnis", in dem er den Faschismus rechts von Hitler predigte. Die Schrift entstand in der Zeit,
als die Konservativen Revolutionäre ihren Konkurrenten aus der Hitler-Linie die
Orientierung am italienischen Faschismus vorwarfen, die sie als undeutsch, als
nicht preußisch, ansahen. Zu dieser Zeit engagierten sich auch Heller und de
Man in Büchern gegen den "Fascismus" und benutzten die halb
italienische Schreibweise, um deutlich zu machen, daß sie die Entwicklung
meinten, die von Italien ausging, und nicht etwa die Traditionslinie des
"Kriegssozialismus".
Niekischs Schrift wird heute immer wieder als
antifaschistisch ausgegeben, war jedoch in Wahrheit ein Bekenntnis zum
Nationalsozialismus, lediglich ohne den Konkurrenten Hitler. "Die
nationalsozialistische Bewegung ... kann aufwühlende Pflugschar, sie kann Kampf
schöpferischen Gebärens, sie kann das Gewitter sein, daß die Erde tränkt und
die Luft reinigt", wenn sie sich nur endlich von Hitler trenne. Hitler sei
zu sehr "Demokrat", "eine Spielart des demokratischen
Menschen." Positiv schrieb Niekisch hier über den Hitler-Ludendorff-Putsch
von 1923: "In den ersten Jahren allerdings war Hitler unleugbar noch ein
Mundstück des deutschen Protestes. ... Das Aufgebot, das der Eifer des
Demagogen (d. i. Hitler, P. K.) in Bewegung setzte, war ein deutscher
Glücksfall, wenn der Feldherr (d. i. Ludendorff, P. K.) vorbereitet war, es zu
ordnen und zweckvoll einzusetzen." Dann aber seien bei Hitler die
nicht-deutschen Gene bestimmend geworden: "Er ist romanisierter Deutscher;
gegenreformatorische Instinkte, halb wittelsbacher, halb habsburger Färbung,
trägt er in seinem Blute." Das habe zur "römischen Überfremdung"
des Nationalsozialismus geführt, "ein gebrochenes deutsches Rückgrad"
sei die Folge für die Bewegung. Hitler habe mißachtet, "daß die räumliche
Mittellage Deutschlands ein Höchsmaß an Zwang, an 'Kaserne', an 'Selbstverzicht',
an 'Unnatur' fordert." Schließlich sei Hitlers Politik sogar
"jüdischen Ursprungs." "Wer an den geistigen Werten, den
zivilisatorischen Gütern des Abendlandes hängt, gehört zu Versailles; er gibt
Deutschland preis, um diese Werte und Güter nicht zu gefährden. ... Das Abendland
kannte stets das beklemmende Grauen vor dem, was nördlich der Donau und östlich
der Elbe liegt", dort, wo Niekisch sein "Deutschland", seinen
"germanischen Barbarismus" suchte.
Niekisch kritisierte 1932, daß Hitler davor
zurückgeschreckt sei, "die alte Welt in Flammen" zu setzen, sich
statt dessen der Legalität verschrieben habe, aber: "Weder Weimar noch
Versailles läßt sich legal vernichten." Niekischs einziger Vorwurf gegen
die Nazis: "Ein tiefgreifendes Mißtrauen gegen die abendländische Überfremdung
war in Deutschland erwacht; der Nationalsozialismus schläferte das Mißtrauen
wieder ein." Schon 1929 hatte er in seinem Buch "Politik und
Idee" geschrieben: "Wer sich der Moral so sehr verpflichtet fühlt,
daß er selbst die Rettung seines Volkes nicht durch die Preisgabe sittlicher
Grundsätze erkaufen wollte, mag zu manchen Dingen taugen; unter keinen
Umständen ist er dazu berufen, Staatsmann zu sein."
Antiamerikanismus war die Konsequenz des
"Widerstands" gegen den "Westen". In "Gedanken über
deutsche Politik" schrieb er: "Washington ist die Herrschaft der
Unter- und Minderwertigen."
Die Vorstufe zu diesen literarischen Ergüssen
produzierte Niekisch in den Zeitschriften "Der Firn" und "Die
Glocke" schon Anfang der 20er Jahre, ab 1926 dann in dem Blatt
"Widerstand" und der Tageszeitung "Der Volksstaat". An
allen Blättern waren führende Hofgeismarer maßgeblich beteiligt. Vor allem mit
dem "Widerstand" versuchte Niekisch, die Konservative Revolution
hinter sich zu vereinigen. Ernst Jünger war hier häufig Autor. "Der
Firn" wurde von den Hofgeismarern wie eine Pflichtlektüre bearbeitet. In
der "Glocke" - dem Organ der "Kriegssozialisten" um Lensch,
Winnig und Plenge ab 1915 - brachte Niekisch 1924 den Artikel "Sozialdemokratie
und Nationalismus" heraus, der bis heute weitgehend unbekannt blieb,
obwohl - oder gerade weil? - er auffällig modern argumentiert. Die SPD solle
Abschied nehmen vom Marxismus, "sie muß den Mut haben, offen als die
wahrhaft nationale Partei zu erscheinen, die sie gern sein möchte, auch wenn im
Zusammenhang damit mit manch alter, liebgewordener Tradition gebrochen werden
müßte." Daß die nationale Idee mißbraucht worden sei, dürfe nicht dazu
führen, sie nun gänzlich abzulehnen. Denn "das Los des deutschen
Arbeiters" sei "entscheidend abhängig" davon, wie
"Schutzzoll", "Verteilung der Kolonien", "Ein- und
Auswanderung" geregelt würden. Klassengegensätze und Schichtsunterschiede
seien belanglos angesichts der Bedeutung der Gemeinsamkeiten innerhalb der Nation:
"Gleichheit der Sprache und der geschichtlichen Überlieferungen, Einheit
des Gebietes, auf dem das Heim errichtet und die Nahrung gebaut wird und in dem
die Daseinsgrundlage jedes einzelnen wurzelt." Inhaltlich identisch
definierte der damalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel in den 80er Jahren in
NG/FH die "Kulturnation" als sozialdemokratische Alternative zum
"Verfassungspatriotismus".
Niekisch verfolgte ab Mitte der 20er Jahre mehrere
organisatorische Linien parallel, um verschiedene Strömungen sammeln und unter
seinem Hut zusammenführen zu können. Dabei konnte er sich immer wieder auf
"seine" Hofgeismarer als Kader stützen. "Der Volksstaat",
den er von seiner Gründung 1926 bis Mitte 1928 leitete und auf seine politische
Linie verpflichtete, war die Parteizeitung einer rechten SPD-Abspaltung, der
"Alten Sozialdemokratischen Partei Sachsens" (ASP), die 1926 von
ehemaligen Mitgliedern der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag gegründet wurde.
Sie waren bereits 1923 aus rechter Opposition gegen die sächsische
Volksfront-Regierung aus der Fraktion ausgeschieden, aber in der linken
sächsischen SPD geblieben und 1926 aus der Partei ausgeschlossen worden, weil
sie eine bürgerliche Landesregierung unterstützten. Die volksgemeinschaftlich,
kapitalistisch und planwirtschaftlich orientierte ASP stellte in der zweiten
Hälfte der 20er eine Hauptwirkungsstätte Niekischs dar, mit der er die kleinen
nationalrevolutionären Gruppen parteipolitisch sammeln wollte. Hofgeismarer und
Bündische bewegte er zum Eintritt.
Im "Volksstaat" vertrat Niekisch ähnliche
Positionen wie gleichzeitig im "Widerstand", allerdings weniger
radikal, gewissermaßen fürs breite Volk aufbereitet. Im "Volksstaat"
hieß es 1927 über ein Jazz-Konzert: "Ausbrüche wilder sexueller
Negertriebe ereignen sich auf der Bühne, eine Weiße Primadonna leistet
verdächtig wenig Widerstand. ... Sie ist nicht der unmittelbare geistige
Ausdruck welterobernder Nigger-Kultur, daß, was sie verkörpert und
versinnlicht, ist der Geist des Amerikanismus. ... Wir müssen alle Kräfte
aufwenden, um die Gefahr der geistigen Verwüstung, die uns von Amerika her
droht, zu begegnen." Wohl gemerkt: Was uns heute als Parodie erscheint,
meinte Niekisch ernst.
Die reichsweite Ausdehnung der bisherigen
Regionalpartei ASP, die Niekisch 1927 betrieb, wurde durch vorherige Hofgeismarer
und "Kriegssozialisten" getragen. […] Niekisch und Winnig versuchten,
mit einem "Führerring der nationalen Bünde" auf die Jugendbewegung
Einfluß zu nehmen, die sich ab Mitte der 20er durch den Zustrom der
Freikorps-Reste wieder rechts und antirepublikanisch politisierte. 1927 dann
wurde Winnig Mitherausgeber von Niekischs Zeitschrift "Widerstand",
dem Organ des "Widerstandskreises", den Niekisch parallel zur ASP
aufbaute, ebenfalls mit Hofgeismarern.
Heute liegt es nahe, anzunehmen, daß die Leipziger
Fascho-Jusos der 90er Jahre von ASP-Erbschaften profitieren, die in manchem
sächsischen Keller die Systeme überdauert haben mögen.
Die Reaktion auf die Ungeheuerlichkeiten der
Nationalrevolutionäre innerhalb der SPD war in den 20er Jahren teilweise klar
ausgrenzend, andererseits auch so butterweich wie heute gegen die neuen
Hofgeismarer oder gegen die Niekisch-Apologeten um Fichter oder Herbert Ammon
und Peter Brandt […]. Als "Faschistenversammlung" bezeichnete der
"Vorwärts" im Februar 1928 eine Zusammenkunft der Niekisch-Anhänger,
die von Antifaschisten "gesprengt" worden war. Niekisch verleite
seine Leute "zu immer weiterem Abrücken nach der nationalsozialistischen
Seite", hieß es in dem Artikel, er mache "sich offen zum Reiseapostel
der national-sozialistischen Organisationen." Aus der SPD ausgeschlossen
wurde Niekisch aber nie. Er trat 1926 freiwillig zur ASP über, doch viele
seiner Anhänger blieben in der SPD und bis heute hat er Freunde in der Partei.
Der damalige Parteivorsitzende Otto Wels nannte die
politische Position Niekischs auf dem Kieler Parteitag 1927 zwar "rein
nationalsozialistisch", mußte sich aber von der zum linken Flügel
zählenden Delegierten Dora Fabian aus Chemnitz die innerparteiliche Praxis
entgegenhalten lassen: "Der Parteivorstand hat uns in unserem Kampf gegen
diese Genossen nicht unterstützt; er hat auf unsere Forderung, sie aus der
Partei auszuschließen, nur mit Hohn und Spott geantwortet. Noch heute können
diese einstigen Jungsozialisten Mitglieder der Partei sein, obwohl sie mit
demselben Herrn Niekisch in der Redaktion seines Blattes 'Der Widerstand'
sitzen, dessen nationalistische Einstellung Wels in anderem Zusammenhang ... so
treffend gekennzeichnet hat. Wenn es sich um die Genossen von rechts handelt,
dann ist der Parteivorstand immer sehr großzügig; gegen die Genossen von links
ist er ebenso intolerant." Das hat sich bis heute nicht geändert. Die
Kritik an Niekisch wurde nach 1926 wohl auch deshalb so drastisch, weil seine
ASP nun - vor allem bei der Reichstagswahl 1928 - als Konkurrentin der SPD
auftrat.
Die gute Konjunkturentwicklung des Abschnitts der
"Goldenen Zwanziger", die das Rekrutierungspotential der extremen
Rechten vorübergehend schwächte, die innerparteiliche Auseinandersetzung um
Niekisch und sein Übertritt zur ASP führten 1926 zum Zerfall des
Hofgeismarkreises. Die von Hofgeismarern dominierten Juso-Bezirke
"Wasserkante" und "Westliches Westfalen" traten aus der
Reichsorganisation der Jungsozialisten aus, und in Hofgeismar-Blättern wurde
zum Anschluß an Niekischs "Widerstand"-Kreis aufgerufen. Das damalige
Leitungsorgan der Jungsozialisten, der Reichsausschuß, beschloß 1926 mit
Zweidrittelmehrheit: "Die politische Auffassung des Genossen Niekisch und
des ihm nahestehenden Kreises sind mit den Grundsätzen der SPD und den
Bestrebungen der Jungsozialisten nicht in Einklang zu bringen. Reichsausschuß
und Reichsleitung richten deswegen an den Parteivorstand das Ersuchen, baldigst
Schritte zur Klärung des organisatorischen Verhältnisses zu diesen Kreisen zu
unternehmen."
Der Hofgeismarkreis löste sich jedoch selbst auf.
Die meisten führenden Köpfe schlossen sich Niekischs neuen Gruppen an. Nach dem
schnellen Scheitern der ASP blieb der "Widerstand"-Kreis als
Auffangbecken, den Niekisch nun ebenfalls aus den Überresten der
putschistischen Freikorps von 1919/20 verstärkte. Sie hatten sich in der Mitte
der 20er Jahre zu militaristischen Bünden zusammengeschlossen, in denen
inzwischen auch der Geopolitiker Karl Haushofer und Ernst Jünger wirkten. Nun
schlossen sich einige mit dem "Widerstand"-Kreis zusammen. Niekischs
Schritt zum offenen Militarismus lag nach allem nahe. In den Jahren 1928 bis
1932 war sein Einfluß auf die Konservative Revolution am größten. Anfang der
30er gehörte der "Widerstand"-Kreis mit Paetels
"Sozialrevolutionären Sozialisten", Otto Strassers "Schwarzer
Front", den Jünger-Brüdern, den aufgesogenen Freikorps und Zehrers und
Wirsings "Tat"-Kreis zur "Querfront" um Schleicher.[…]
Auch Otto Strassers "Schwarze Front", die
paramilitärische Organisation "Stahlhelm" und die NSDAP rekrutierten
Mitglieder aus den ASP-Resten. So führte Niekisch etliche Hofgeismarer […] aus
der SPD heraus und über Zwischenstationen auch organisatorisch an den Faschismus
heran, was Heller und de Man lediglich geistig, aber innerhalb der SPD, getan
hatten. Es macht wenig Unterschied, ob sie 1932 bei der Schleicher/ Strasser-Fraktion
landeten oder bei der Hitler-Fraktion, zumal Schleicher selbst auf eine
Verständigung mit Hitler hoffte und man sich nach 1945 ohnehin über die
Blutlachen der Röhm-Affäre hinweg zusammenraufte. […] Und auch diejenigen, die
in der SPD blieben, bewiesen z. B. mit der Zustimmung zu Hitlers
Friedensresolution, was "Kriegssozialismus" und "Hofgeismar"
bewirkt hatten.
Die "Kriegssozialisten" von 1914/15
trafen sich Anfang der 30er wieder, um das Ende der Weimarer Republik gemeinsam
zu betreiben. Winnig arbeitete nun auch mit dem Schriftsteller Hans Grimm
zusammen, Autor des berüchtigten Buches "Volk ohne Raum", dessen
Werke nach 1945 bei den "Deutschen Unitariern" breit rezipiert
wurden. […]
Andere Hofgeismarer blieben in der SPD bis zum
Verbot 1933 und machten nach 1945 Parteikarriere. Der Niekisch-Gefolgsmann
Franz Osterroth, der 1923 am Feuer "Es lebe Deutschland!" gerufen
hatte, trat aus und wieder ein und ging zum sozialdemokratischen
"Reichsbanner". Die zunehmend paramilitärische Organisation gab vor,
die Republik gegen die SA-Horden der Nazis und die Rotfront-Kämpfer der KPD zu
verteidigen, war tatsächlich aber einer der Sargnägel der Republik. Das
"Reichsbanner" entwickelte militante faschistoide Strukturen,
übernahm Propagandaformen der Nazis und betrieb einen Führerkult um seinen Chef
Karl Höltermann, der sich am Hitler-Kult orientierte.
Höltermann genoß das Vertrauen der
"Querfront"-Strategen, wurde 1932 in ihre Pläne einbezogen und sollte
nach dem Willen von Otto Strasser ebenso wie Wenzel Jaksch einer
Nach-Hitler-Regierung angehören, die Strasser in den frühen 40er Jahren aus dem
Exil plante: "Hitler beiseite schieben und vom Nationalsozialismus die
guten und die nützlichen Ideen beibehalten", erläuterte Strasser die
Schleicher-"Querfront" rückblickend 1940. Seine nationalrevolutionäre
Nachkriegsregierung sollte fast identisch sein mit der "Querfront",
die Strasser im Sommer 1932 aus seinem Bruder Gregor, Graf von Reventlow,
Höltermann, den Schleicher-freundlichen Teilen der preußischen SPD um Severing
und Braun und dem nationalistischen KPD-Flügel um Scheringer zu basteln
versuchte. Bei der Zeitung "Das Reichsbanner" wurde Osterroth
Redakteur, hier traf er den früheren Hofgeismarer Theodor Haubach, der bis 1930
Pressereferent des SPD-Reichsinnenministers Carl Severing war, der wiederum als
preußischer Innenminister 1932 dem Papen/Schleicher-Putsch gegen die preußische
Staatsregierung tatenlos zugesehen hatte - man kann fast sagen, ihn
unterstützte, indem er freiwillig und ohne Zögern sein Ministerbüro ausräumte.
Osterroth wurde nach 1945 zu einem viel gelesenen Chronisten der
Sozialdemokratie, der die offizielle Parteigeschichtsschreibung maßgeblich
beeinflußte. 1964 schrieb er in einem zusammenfassenden Artikel über die
Hofgeismarer, daß sie die eigentlichen Vorbereiter der Schumacher-SPD und des
Godesberger Programms von 1959 gewesen seien, was aber in dieser Form auch dann
nicht stimmt, wenn man "Volkspartei" als völkische Organisation
mißverstehen wollte. Das Godesberger Programm wurde vor allem unter Willi
Eichler erarbeitet, einem linken Gegner der Hofgeismarer in den 20er Jahren.
Allerdings leitete der frühere Hofgeismarer Heinrich Deist in den 50ern die
Arbeitsgruppe, die den Wirtschaftsteil des Programms verfaßte.
Gustav Radbruch, der führende Rechtspolitiker der
SPD in den 20er Jahren und bis heute verehrt, brachte 1931 Hellers Buch
"Sozialismus und Nation" unverändert wieder heraus. Es sollte jetzt
eine Antwort auf den erstarkenden Nationalsozialismus geben und war doch nur
ein weiterer Schub in dessen Richtung. […]
Eine Hofgeismar-Karriere machte auch Walther
Oschilewski. Eine Zeitlang Niekischs rechte Hand als verantwortlicher Redakteur
des "Widerstand", hatte er sich in den 20er Jahren als Anhänger
Moeller van den Brucks profiliert und auch verlangt, die Bücher Karl Kautskys
müßten auf dem Scheiterhaufen verbrandt werden. Als Hofgeismarer hatte er in
den "Jungsozialistischen Blättern" antifeministische Ausfälle
produziert: "Das Weib fühlt", "Wir Männer denken." Er wurde
nach 1945 stellvertretender Chefredakteur der SPD-Mitgliederzeitschrift
"Berliner Stimme" und schrieb hier in den 60er Jahren eine Würdigung
zu Niekischs 75. Geburtstag und 1967 einen flammenden Nachruf auf ihn. Das
Blatt blieb rechts, Brigitte Seebacher war in den 70ern Chefredakteurin. In den
80ern wurde die "Berliner Stimme" zu einem Organ für Fichter, der hier
immer wieder seine Deutschlandpolitik propagierte und hier wiederholt auch die
"Denkschrift" von Ammon und Schweisfurth empfahl.
Oschilewski brachte 1981 einen Faksimile-Nachdruck
der Zeitung "Junge Menschen" heraus, die zur Jugendbewegung im
sozialdemokratischen Umfeld der 20er Jahre zählte. In einer gänzlich
unkritischen Einleitung nannte er als ihre Themen u. a. die Stichworte
Religiösität, Seelenkultur, Körpererziehung, Eros, Vegetarismus, Rassenhygiene,
Volksordnung und Weltverbesserung, die durchaus die politische Stimmungslage in
dem breiten Strom zwischen den offen Völkischen und den Hofgeismarern
beschrieben. Der Kopf des Blattes, Walter Hammer, arbeitete auch mit
Hofgeismarern zusammen, gehörte dem Leitungsgremium des
"Reichsbanners" an und wurde später von den Nazis verfolgt. In
"Junge Menschen" las man z. B. 1923 - neben Fotos von nackten, Sport
treibenden Menschen in früher Riefenstahl-Ästhetik - über die "Forderungen
der Rassenhygiene": "Die biologische Erblichkeitsforschung hat bei
uns noch nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient. ... An nichts kranken
die menschlichen Zustände so sehr als daran, daß viel zu viele Minderwertige
erzeugt werden und viel zu wenige Vollwertige. ... Da nun sowohl
körperlich-konstitutionelle als auch seelische Eigenschaften und geistige
Veranlagungen sich forterben können, entsteht daraus für die Zukunft unserer
Rasse eine ernste Gefahr" usw. Oschilewski fand dies wohl 1981 immer noch
richtig, denn mit keinem Wort kommentierte er solche Stellen des Nachdrucks, etwa
in seiner Einleitung.
NG/FH schrieb 1993, Niekisch sei ein "frühes
Opfer des NS-Terrors" gewesen und sponn so an dessen
Antifaschismus-Legende mit. […] Niekisch konnte bis 1937 im In- und Ausland
frei reisen und seine "Widerstandsbewegung" gegen alles "Welsche"
betreiben. Ein "frühes Opfer"? 1937 dann - als schon Hunderte von
Sozialdemokraten und Tausende von Kommunisten ermordet waren - verhafteten die
Nazis ihn und sperrten ihn bis 1945 ein. Seine Politik wurde in den 70er und
80er Jahren zu einem zentralen Bezugspunkt für die Nationalrevolutionäre. Ihrer
neuen Querfront kam zugute, daß Niekisch nach 1945 für kurze Zeit sein Heil in
der SED suchte, dort dann aber ausgeschlossen wurde. Bei seinem Versuch, eine
Entschädigung als Verfolgter des Nazi-Regimes zu bekommen, verweigerte ihm der
damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, die Unterstützung -
wegen Niekischs kurzzeitiger SED-Mitgliedschaft, wie es hieß. "Zwischen
allen Fronten" nannte Uwe Sauermann seine Niekisch-Biographie 1980, die Armin
Mohler um einen "bio-bibliographischen Anhang" ergänzte. Sauermann
kam aus dem "Nationaldemokratischen Hochschulbund" NHB der NPD, wo er
zeitweise sogar den Bundesvorsitz innehatte, war ein Wegbegleiter Eichbergs,
Sprecher der "Danubia"-Burschenschaft und Ende der 80er Jahre
Mandatsträger der SPD in Bayern. Er arbeitete beim Bayrischen Rundfunk und hat
in etlichen Büchern Niekisch für die Nationalrevolutionäre der 80er und 90er
Jahre aufgearbeitet.
Die Verfassungsschutzberichte des
Bundesinnenministers erwähnen Niekisch heute unter dem Stichwort
"Neonationalsozialismus" in einem Atemzug mit den Strasser-Brüdern
und dem SA-Chef Ernst Röhm. Dessen ungeachtet bekannte sich z. B. Herbert Ammon
mehrfach zu Niekisch und verfaßte einen Text zu dessen Ehrenrettung. Rolf Stolz
- mit dem gemeinsam auch Peter Brandt Artikel schrieb - veröffentlichte Ammons
Text in einer internen nationalrevolutionären Publikation, die Stolz gemeinsam
mit dem NG/FH-Autor Reinhard Hesse herausgab. Darin schrieb Ammon, Niekisch
gehöre zum "Vermächtnis des deutschen Widerstandes" gegen Hitler. Der
Verlag Siegfried Bublies brachte 1993 Biographien über Niekisch und Otto
Strasser heraus, die von einer Biographie über Alfred Rosenberg ergänzt wurde,
dem Chefideologen der NSDAP und nach 1945 zeitweilig geistigem Vorbild der
"Deutschen Unitarier"-Sekte. Verlagsanzeigen bewarben alle drei
Bücher gleichzeitig. Beim Parteitag der "Republikaner" im Dezember
1994 berief sich Franz Schönhuber auf Niekisch, der immer die "feige
Unterwürfigkeit gegenüber fremden Besatzungsmächten" gegeißelt habe, und
meinte über sich selbst, er verstehe sich als "linken Rechten" in der
Tradition Niekischs und Strassers.
Die Legenden vom "linken Sozialdemokraten Niekisch",
der eine "marxistische Frühzeit" gehabt und in der Münchner
Räterepublik sozialistische Positionen vertreten habe, hat kürzlich erst Jörg
Weltzer widerlegt. Seine Arbeit "Nationalistischer Einfluß in der SPD von
1917 bis 1926: Ernst Niekisch, der 'Hofgeismarkreis der Jungsozialisten' und
die 'Alte Sozialdemokratische Partei'" weist nach, daß Niekisch immer nur
ein instrumentelles Verhältnis zur Arbeiterbewegung hatte, die er für eine
nationalistische Großmachtpolitik Deutschlands benutzen wollte. Seine
politischen Gruppen agitierten für den Faschismus und bestanden zum Teil aus
NSDAP-Gefolgsleuten. […]
Es war nötig, so intensiv auf Heller, de Man und
Niekisch einzugehen, denn sie sind die Quellen der heutigen Hofgeismarer, ihrer
Bezugsgruppe Brandt/Ammon/Fichter und teilweise auch von Glotz oder Reitz. Zum
70jährigen Jubiläum der historischen Hofgeismarer im März 1993 brachte der
"Vorwärts"-Redakteur Michael Scholing einen Artikel, in dem die
irrationale Romantik der 20er Jahre verklärt wurde. Das 1923er Treffen erschien
hier als frühes Woodstock, der völkische Nationalismus wurde heruntergespielt,
obwohl doch gerade erst die Aussagen der neuen Hofgeismarer zu den Bildern des
Pogroms in Rostock-Lichtenhagen durchs Fernsehen gingen. Vorsichtig noch wurde
die Bereitschaft der historischen Hofgeismarer zum Revanchekrieg gegen den
Versailler Frieden als vermeintliches Realitätsdenken gewürdigt, das angeblich
"Menschen- und Völkerrecht vor Frieden um jeden Preis" gesetzt habe -
die Blauhelmdebatte warf 1993 Schatten. Inzwischen wird auf dieser Basis der
Einmarsch der Bundeswehr nach Bosnien gefordert. Scholing hatte schon im
November 1991 (!) im "Vorwärts" die völkische "Entmischung"
des Balkans als einzige Lösung des Konfliktes angesprochen und gefleht:
"Müßte sich die EG nicht doch endlich zum militärischen Eingreifen
durchringen?" Denn "in Jugoslawien herrscht Völkerkrieg".
Der Initiator des historischen Hofgeismarkreises,
August Rathmann, starb Anfang Januar 1995 zwei Tage nach seinem hundertsten
Geburtstag in Kiel. "Sein Tod erschüttert uns. Wir werden ihn als
vorbildlichen Sozialdemokraten in Erinnerung behalten", schrieben Rudolf
Scharping und der schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Willy Piecyk -
früher ein Vertreter des Stamokap-Flügels - in einem Nachruf. In den 20ern war
Rathmann ein Anhänger und Propagandist der völkisch-religiösen Ideen von de Man
gewesen und hatte schon ab 1922 mit Karl Bröger eng zusammengearbeitet. Er
hatte 1923 die Einladungen zu dem Oster-Treffen in Hofgeismar an Eduard
Heimann, Gustav Radbruch, Bröger und die anderen verschickt. 1995 würdigte die
Presse Rathmanns Weg in den 20er Jahren als frühe Vorbereitung des Godesberger
Programms der SPD von 1959. Die neuen Hofgeismarer der 90er Jahre versuchten,
sich an Rathmann heranzumachen. Seinen völkisch-rassistisch motivierten Kampf
gegen die "Speckdänen" in den 20er Jahren - er wollte das dänische
Nordschleswig wieder für Deutschland zurückgewinnen - setzen die heutigen
Hofgeismarer fort. Selbst den Begriff "Speckdänen" benutzen sie in
ihren Schriften.
Nach offizieller Lesart der "Kieler
Nachrichten", die 1995 eine Würdigung des Hundertjährigen brachten, ließ
Rathmann die neuen Leipziger Fascho-Jusos abblitzen. Die sehen das freilich
anders: In ihrem "Politischen Rundbrief" vom April 1995 brachten sie
einen flammenden Nachruf, der mit dem Satz endete: "Besondere Freude hatte
Rathmann ('Vater aller Hofgeismarer' laut Vorwärts-Redakteur Michael Scholing)
noch einmal 1993/94 verspürt, als er von der Wiedergründung des Hofgeismarkreises
in Leipzig erfuhr und eben an jenem 20. Juli dessen Vorsitzenden Sascha Jung
gegenüberstand." Dirk Larisch schrieb hier "zum Geleit", daß
"wir Hofgeismarer erstmals Kontakt zu Rathmann (bekamen), als er uns im
Januar 1993 mit 'Sascha Jung und dem Hofgeismarer Kreis in Leipzig solidarische
Grüße' den ersten und zweiten Teil seiner Aufsatzreihe 'Marx, Lenin und der
Marxismus' sandte. Seitdem ist ein dicker Packen Briefe entstanden.
Freundschaftlich begleitete er bis zum Schluß unsere Weg, setzte sich bei
anderen für uns ein, z. B. als er an den Vorwärts
schrieb: 'Ich meine, daß der Leipziger Kreis jede nur mögliche Unterstützung
verdient...'." […]
Rathmann hatte schon 1984 in der Glotz-Zeitschrift
"Die Neue Gesellschaft" an die historischen Hofgeismarer erinnert und
stolz eine Erklärung von Deist und Haubach zitiert, die die Hofgeismarer 1925
verabschiedeten und die zum Rassismus ihrer heutigen Nachfolger paßt: "Wir
erkennen in den Nationen die natürliche (!) Gliederung der menschlichen Gesellschaft.
Die Nation ist uns als historisch gewordene Natur- und Schicksalsgemeinschaft
eine theoretisch gültige wie praktisch unleugbare Wirklichkeit.
Der 1992 wiedererstandene Kreis macht nichts
anderes als sein Vorgänger, den die SPD offiziell in Ehren hält. Und da sie
auch Ideologen wie Rathmann, Radbruch oder Heller in Ehren hält, wundert es
nicht, daß die Leipziger Fascho-Jusos 1995 wieder oben auf sind, nachdem ihre
Parteistrafen - einjährige Funktionsverbote - abgelaufen sind. Die heutigen
Hofgeismarer setzen darauf, aus der sozialen Notsituation der 90er Jahre
Gefolgsleute rekrutieren zu können, wie zu Anfang der 20er und in der
Wirtschaftskrise der 30er Jahre. Der Begriff "Deutschfeindlichkeit"
gehört zu ihrer Grundausstattung, wenn sie die Linke wegen der internationalen
Solidarität - auch mit Ausländern in Deutschland - attakieren. Sie werfen der
SPD vor, "ihre eigenen deutschen Wurzeln verraten" zu haben, wie es
die Vorgänger bereits in den 20er Jahren taten.
In welchem braunen Boden diese Wurzeln stecken
sollen, zeigten die wiederkehrenden Kleinanzeigen von Hofgeismarern in der
"Junge Freiheit" ebenso wie ihr "Liederbuch Junger
Sozialdemokraten", das sie zeitweise über das SPD-Unterbezirksbüro in
Leipzig verschickten. Es enthält eine Sammlung völkischer Erbauungslyrik.
"O alte Burschenherrlichkeit! Wohin bist du entschwunden?" ist noch
eines der harmloseren Lieder. "Die lieben Waffen glänzen so hell im
Morgenrot; man träumt von Siegeskränzen, man denkt auch an den Tod ... Dein
ist, o Herr, der Krieg", geht es weiter. "Heldenblut" und
"Männertugend" werden besungen, "himmelwärts im Siegertod"
wollen diese Jusos, denn "stolz, keusch und heilig sei, gläubig und
deutsch und frei Hermanns Geschlecht!" Das "Liederbuch" bringt
auch ein altes antisemitisches Lied, "Haltet euer Deutschtum hoch",
das heute neue Zielgruppen in Arbeitsemigranten und Flüchtlingen findet:
"Deutsche Jugend, auf zum Streite, rüste dich mit Herz und Hand! Beug' dem
Joch dich fremden Geistes nicht im eignen Vaterland!"
Die neuen Hofgeismarer berufen sich nicht zu
Unrecht auf die großen Namen der Sozialdemokratie, auf Lassalle, Ebert, Kurt
Schumacher und Julius Leber. Ihre heutige Ausländerfeindlichkeit setzt das
fort, was schon die Lassallaner an Antisemitismus in die Partei einbrachten. Rosemarie
Leuschen-Seppel hat 1978 mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung eine
Studie über "Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich"
vorgelegt, in der sie darlegte, wie sehr Lasalle - selbst Jude - und seine
Anhänger platte antisemitische Agitation gegen das liberale Bürgertum, die
freie Presse und die marxistische Linke einsetzten. Sie wurden darin zu
Vorläufern Niekischs und der Nazis, deren "Sozialismus" gegen den
"jüdischen Kapitalismus" und den "jüdischen Weltbolschewismus"
stand. Leuschen-Seppel schrieb von "antisemitischer Politik" und
"antijüdischen Affekten" der Lassallaner, die sich in der SPD
ausgebreitet hätten. Große Teile der Partei hätten die antisemitische Bewegung
in Deutschland sogar als positive Rebellion gegen die Herrschenden verstanden,
die ein Durchgangsstadium kleinbürgerlicher Schichten zum Sozialismus
darstelle, gewissermaßen die Vorstufe zum Eintritt in die SPD.
Sie zitierte sogar den Parteimitgründer Wilhelm
Liebknecht mit den Sätzen: "Ja, die Herren Antisemiten ackern und säen und
wir Sozialdemokraten werden ernten. Ihre Erfolge sind uns also keineswegs
unwillkommen." Diese Idee, Antisemitismus als soziale Unzufriedenheit mit
dem herrschenden liberalen Bürgertum - das nach 1848 für die Judenbefreiung in
Deutschland stand! - zu interpretieren, brachte eine direkte Nähe zur
völkischen Bewegung. Die ideologische Gemengelage der "linken Leute von
rechts" und "rechten Leute von links" in den 20er Jahren hatte
sicher auch hierin einen Ursprung. Lediglich Karl Kautsky hat nach
Leuschen-Seppel diese Infiltration der Sozialdemokratie mit Antisemitismus als
Problem direkt und öffentlich angesprochen; es sei in der Partei nicht
diskutiert und bewältigt, sondern tabuisiert worden.
Die heutigen Hofgeismarer rasseln mit den Säbeln
ihrer Urgroßväter. Scholing hatte im "Vorwärts" 1993 durchaus die
richtige Richtung gewiesen, in der die weltweiten Bundeswehreinsätze liegen. In
ihrer Gründungserklärung "Warum Hofgeisamerer Kreis?" verwiesen die
Neuen 1992 auf einen heroischen Friedrich Ebert, der aus persönlichem Schicksal
nationale Politik gemacht habe. Reichskanzler Max von Baden habe am 9. November
1918 zum SPD-Vorsitzenden gesagt: "Herr Ebert, ich lege Ihnen das Deutsche
Reich ans Herz!", und Ebert habe ihm geantwortet: "Ich habe zwei
Söhne für dieses Reich verloren." Die Fascho-Jusos wissen sehr genau,
welche Stellen sie zitieren, an welche sozialdemokratischen Traditionen sie
anknüpfen. […]
Die Gruppe biedert sich heute diversen Kreisen an,
die sich auf Kurt Schumacher beziehen, den Kriegsfreiwilligen des Ersten
Weltkriegs, Verfolgten der Nazis und Nationalisten nach 1945, von dem Willy
Brandt schrieb, "sein dominierender Charakterzug war ein eiserner Wille
zur Macht". Die neuen Hofgeismarer zitierten in ihrer Grundsatzerklärung
die Rede Schumachers vom Februar 1932, in der er den Nazis entgegenhielt:
"Von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion haben im Krieg 73 Prozent
aktiv gedient." Diese Art von Patriotismus hat immer mit Gewalt zu tun,
immer mit Krieg, immer mit der Pflicht des Individuums, sein Leben für die
nationale Gemeinschaft im "Schützengraben" (Fichter) zu opfern.
Schumachers frühere Sekretärin und spätere
prominente SPD-Politikerin Annemarie Renger wird von den Hofgeismarern ebenso
als Ansprechpartnerin gesehen wie Brigitte Seebacher-Brandt. Die Gruppe um
Stiefsohn Peter Brandt, Ammon und Fichter ist der primäre aktuelle Bezugspunkt.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierte den neuen Hofgeismarern im Juli 1993
ein Seminar, auf dem Tilman Fichter "anhand der Hofgeismar-Liederbücher"
ein Referat zur Nation hielt und andere Referenten über den
"hedonistischen Irrtum - Die Deutschen und die Demokratie" sowie über
die faschistoide paramilitärische Organisation "Reichsbanner" aus der
Weimarer Zeit informierten. Später bejubelten die Fascho-Jusos eine
innerparteilich umstrittene Neugründung des "Reichsbanners", die im
August 1994 stattfand. Das Ergebnis des Seminars veröffentlichte Fichter als
Persilschein im August 1993 in NG/FH und im Antifa-Informationsdienst der
Bundes-Jusos vom September 1993: Es gebe keine Fascho-Jusos in Ostdeutschland,
die Mehrheit der neuen Hofgeismarer verträte lediglich "einen ethnisch (im
Zweifelsfall also auch rassistisch) begründeten Nationalbegriff", was
Fichter wohl für eine legitime Position innerhalb der SPD hielt.
Im April 1994 dann veranstaltete die FES gemeinsam
mit der "Kurt-Schumacher-Gesellschaft" Annemarie Rengers in Leipzig
ein groß angelegtes Symposium "Der 'Hofgeismar-Kreis' in der Weimarer
Republik und seine Nachwirkungen bis in die Gegenwart", auf dem auch ein
Vertreter der heutigen Hofgeismarer ein Referat hielt und einer ihrer erklärten
Sympathisanten gemeinsam mit Renger auf dem Podium saß. "Annemarie Renger
betonte, daß Stamokap- u. ä. Gruppen einst viel größere Unruhe hervorgerufen
und negativere Schlagzeilen gemacht hätten als der neue Leipziger Kreis, dem
sie ausdrücklich Existenzberechtigung zugestand", schrieben die Faschos im
"Politischen Rundbrief des Hofgeismarkreises" Ende 1994.
Auch Franz Walter, der weit nach rechtsaußen
abgerutschte Historiker der 20er Jahre-Jungsozialisten, sprach hier. "Die
verschiedentliche Wertung des Hofgeismarkreises als präfaschistisch verweise,
so dezidiert Walter, auf mangelnde Sach- und Quellenkenntnis der betreffenden
Autoren", freuten sich die neuen Hofgeismarer über Walters
Geschichtsfälschungen, der auch für die 90er-Jahre-Nachfolger eine passende
Aufgabe wußte: "Bei klarer Trennung von ganz rechts käme diesem Kreis
heute die Aufgabe, 'linkspazifistisches Mainstream' in der SPD aufzubrechen,
zu", radebrechten die Leipziger Jusos in ihrem Rundbrief über Walters
Rede. Offenbar kamen sie bei dem Symposium von FES und Renger auch sonst breit
zu Wort, ihre prominenten Vertreter waren sämtlich zugegen. Ihr Vertreter
Harald Heinze habe einen "vom Plenum mit stürmischem Beifall honorierten
Diskussionsbeitrag" zum Nationbegriff gehalten, Sascha Jung den Begriff
der "Kulturnation" gegen den des Verfassungspatriotismus
hochgehalten. "Besonders hitzig wurde von den Teilnehmern des Forums der
Habermas'sche Begriff des Verfassungspatriotismus diskutiert", jubilierten
sie anschließend in ihrem "Politischen Rundbrief".
Bereits in ihrer Gründungserklärung von 1992
bezogen sie sich romantisch auf die "Kriegsozialismus"-Politik der
SPD im Ersten Weltkrieg und hoben auch Friedrich Eberts Rolle im Kampf gegen
die streikenden Munitionsarbeiter positiv hervor. Zum Auftakt der Schrift
zitierten sie gleich einen Resolutionsantrag der SPD-Reichtagsfraktion von
1917: "Solange die feindlichen Regierungen Deutschland und seine
Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung bedrohen, wird das deutsche Volk
wie ein Mann zusammenstehen, ... unerschütterlich ausharren und kämpfen, bis
sein und seiner Verbündeten Recht auf Leben und Entwicklung gesichert ist. In
seiner Einigkeit ist das deutsche Volk unüberwindlich. Der Reichstag weiß sich
darin eins mit den Männern, die in heldenhaftem Kampfe das Vaterland schützen.
Der unvergängliche Dank des ganzen Volkes ist ihnen sicher." Dieter Groh
und Peter Brandt schrieben 1992 in ihrem Buch "'Vaterlandslose Gesellen'.
Sozialdemokratie und Nation 1860-1990", daß die "Politik des 4.
August" - der Bewilligung der Finanzen, die den Krieg erst ermöglichten,
durch die neue Volksgemeinschaft im Reichstag 1914 - "durch die
Kriegsniederlage (!) ... desavouiert worden war", nicht etwa durch den
Krieg und seine Ziele, nicht etwa durch die Millionen von Toten in den
Schlachten an Marne und Somme, bei Verdun und Tannenberg, in Litauen und
Galizien.
Hier wird deutlich, wie wenig eine humanistische
Orientierung, wie sehr aber der Heroismus eines Ernst Jünger mit seiner
Verherrlichung der "Stahlgewitter" des Ersten Weltkriegs bereits das
Denken bestimmt. Daß man die Hofgeismarer gebrauchen kann, wenn eine Große
Koalition die Bundeswehr weltweit marschieren lassen will, wissen Scharping und
Gansel, Glotz und Fichter, auch wenn die jungen Leute erst noch ein bißchen
Parteischule brauchen werden, um den groben Unfug abzuschleifen. Daß diejenigen
dabei stören, die das Profitinteresse der Konzerne am Ersten Weltkrieg ebenso
hervorheben wie am heutigen Balkan-, Kaukasus- oder Somalia-Krieg, danach
handeln sie innerparteilich.
Den Nationalkitsch des Ersten Weltkriegs
kontrastierten die Hofgeismarer 1992 der angeblich aktuellen nationalen Stimmung.
Ihre konservative Kulturkritik entspricht der von Glotz am
"Krämergeist" und von Thierse am "Hedonismus" […]
Sascha Jung und seine Gefolgsleute posierten fürs
Fernsehen vor dem Völkerschlacht-Denkmal bei Leipzig. […] Jung beklagte 1994
erneut die "soziale und menschliche Kälte" im Deutschland der
"Raffke-Mentalität" und wetterte gegen die "Freigabe von Drogen,
Multikulti und die Feminisierung des Bürgerlichen Gesetzbuches. ... Wir fordern
deshalb eine Abkehr von der 'Hedonisten- und Schicki-Micki-Partei'. ...
Leistungsforderungen sind zu erfüllen, die erste Priorität haben und hinter
denen andere Einzelinteressen zurückstehen müssen." […]
"Die Deutschen, und allen voran unsere
Politiker, müssen sich von den sinnlosen Schuldkomplexen, der tiefen
Nationaldepression lösen", riefen sie 1992 auf, "es muß Schluß sein
mit der Komprimierung tausendjähriger deutscher Geschichte auf zwölf
schreckliche Jahre." Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe
hatte das im November 1990 im Fernsehsender "1 plus" so ausgedrückt:
Einer 1000jährigen deutschen Geschichte könnten "ein paar verunglückte
Jahrzehnte" wohl nichts anhaben. […]
In ihrem ersten "Rundbrief" 1993 war der
historische Hofgeismarer Karl Bröger Schwerpunktthema. Jung bezeichnete den
völkisch-religiösen Romantiker und Revanchekrieg-Hetzer als "den meist
gedrucktesten und gelesensten" Autor im Ersten Weltkrieg. […]
1994 hatten sie dazugelernt: Nun wurden aktuelle
Vertreter der "Neuen Rechten" bemüht, Jean Haudry z. B., der
rassistische Ideologe des "Indoeuropäertums", mit dem Alain de
Benoist, Armin Mohler, Pierre Krebs und Sigrid Hunke im
"Thule-Seminar" den Faschismus reformierten. [Anm. Blogger: vgl auch
“Indogermanentum” bei Hans F. K. Günther]. Türken gehörten im Gegensatz zu den
Hugenotten Friedrichs II. nicht in die "indo-europäische
Völkerfamilie" und seinen deshalb nicht integrierbar, meinten die
Hofgeismarer, "vgl. Haudry, Jean: Die Indo-Europäer, Wien 1986."
Beim "Thule-Seminar" hatte Haudry 1988
geschrieben: "Überall in der indo-europäischen Welt entspricht der
physische Idealtypus dem nordischen Typus" und der sei "zwangsläufig
blond", während "die niedrigen Elemente der Bevölkerung, die
feindseeligen Nachbarn" schon in der griechischen Mythologie "schwarz
wie die Erde und die Nacht" seien. Das Blonde habe
"Eroberungsgeist", "Lebenselan und Willen zur Macht."
Das stimmt zwar schon historisch nicht, wie Martin
Bernal 1992 in seinem Buch "Schwarze Athene. Die afroasiatischen Wurzeln
der griechischen Antike" nachwies: Die "arische" Antike wurde
erst zur Zeit der Romantik konstruiert, ebenso wie das "arische"
Indien. Aber zur ausländerfeindlichen Ideologie reichen diese Mythen, die nicht
"indoeuropäisch", aber faschistisch sind, allemal. Die Farben der
"Indoeuropäer", meinte Haudry, seien "weiß, rot und
schwarz", zufällig die des Kaiserreichs der Hohenzollern, der
antirepublikanischen Kampforganisation "Stahlhelm" und die der
NS-Fahne. Mit "der rein abstrakt gedachten 'Wertegemeinschaft' des
Verfassungsstaates", schrieben die Hofgeismarer 1992, solle die
"indo-europäische" Zusammensetzung der deutschen Gene zerstört
werden: "In Berlin leben heute 140 000 Türken. ... Berlin ist bereits
heute die viertgrößte türkische Stadt der Welt." Auch Peter Glotz war ja
gegen solche Masseneinwanderungen, wie sie Wien und Berlin schon zu Beginn des
Jahrhunderts mit den Ostjuden erlebt hatten. Die theoretische Agitation gegen
Habermas in NG/FH findet bei den Hofgeismarern nun verständnisvolle Praktiker.
Zur Asylrechtsänderung schrieben sie 1994:
"Auf der Basis von Unwissenheit wird mit Fehlinformationen und Phrasen
diskutiert", obwohl es doch gelte, "Mißbrauchs-beschränkungen"
durchzusetzen, da sonst "konsequent zu Ende gedacht alle ca. 2 Milliarden
unterhalb der Armutsgrenze lebenden Menschen in die Wohlstandsregionen
importiert" würden. "Die vorgenommenen Änderungen werden mit
Sicherheit ihre wohltuende Wirkung entfalten." Das Asylrecht sei ohnhin
"im wesentlichen nichts weiter, als hilflose Gewissensberuhigung
christlicher oder sonst humanistischer Nächstenliebe."
Daß sie im November 1994 im "Politischen
Rundbrief" ihre Darstellung zum deutschen Bauernkrieg auf ein Nazi-Buch
von 1939 stützten - peinlich, aber ansonsten vertraten sie die Positionen der
SPD-Spitze: erst ein Friedrich-Naumann-Zitat, dann die Klage, "der
geistig-moralische Verfall in Deutschland" schreite "rapide voran,
Ellenbogenmentalität macht sich breit, Egoismus und Konsumdenken bestimmen
heute unser Handeln" - das hatte doch schon Thierse ebenso beklagt. Weiter
schrieben sie: "Für Jugendliche gibt es keine Autoritäten, keine
Respektpersonen, Vorbilder und Grenzen mehr" - Glotz hatte den alten
Hofgeismarer Heller als Vorbild angepriesen. "Immer mehr Ehen werden geschieden,
immer weniger Kinder geboren" - die SPD hatte mit Versprechen auf höheres
Kindergeld die Bundestagswahlen gewinnen wollen. "Der Justizapparat,
Behörden und Verwaltungen werden immer bürokratischer, Gesetze immer
komplizierter" - Scharping und Lafontaine wollen mit Deregulierung und
schlankem Staat da Abhilfe schaffen, wo Bürger ihr Recht zu suchen wagen.
"Wachsende Kriminalität" beklagten die Hofgeismarer 1994, den
Lauschangriff bot Scharping als Lösung an.
"Zunehmende Individualisierung",
"zerrüttete Familienverhältnisse", "Jugendverwahrlosung,
Lehrstellennot und Drogenmißbrauch", "Arberitslosigkeit als Schicksal
und Pornos als Ausdruck von Liberalität", "unkontrollierte
Zuwanderung" beklagten die Fascho-Jusos, Glotz forderte schon 1989 die
Kontrolle der Zuwanderung, dann nehmen Ausländerkinder auch keine Lehrstellen
und Arbeitsplätze weg. "Die letzten sozialen Bindungen sind im Begriff
sich aufzulösen. Mit dem sozialen Konsens hat sich der kulturelle verflüchtigt.
Ein Volk kann aber ohne ein Mindestmaß an Gemeinschafts-bezügen und kultureller
Übereinstimmung nicht existieren", meinten die Leipziger in ihrem fünften
Rundbrief, denn "ganz sicher sind Sparsamkeit und Verzicht das Gebot der
Stunde".
Die neuen Hofgeismarer genießen den besonderen
Schutz Fichters, der sich öffentlich vor sie stellte: "Es muß Schluß sein
mit den Ausgrenzungen", meinte er im Juli 1993 gegenüber dem Berliner
"Tagesspiegel" und klärte seine Funktion als politischer Pate:
"Ohne mich wären die Kinder draußen." Die Gruppe versuchte, über
Anzeigen in der "Jungen Freiheit" Mitglieder zu werben, sie wird von
der rechtsextremen Presse kontinuierlich aufmerksam beobachtet. So brachte z.
B. die Zeitschrift "DESG-Inform" - aus der "Deutsch-Europäischen
Studiengesellschaft" DESG, in der Henning Eichberg seine rechtsextreme
Karriere begann -, ein Blatt mit Schaltstellenfunktion zwischen dem alten und
neuen, dem intellektuellen, nationalrevolutionären und militanten Faschismus
von Remer bis Rieger, von Christophersen bis Eichberg, im Januar 1994 einen
Artikel über den "Politischen Rundbrief" der Hofgeismarer, in dem es
hieß: "Wir empfehlen, diese Grundsätze sehr genau zu studieren. Das sind
neue Kräfte, mit denen man zumindest sprechen sollte."
Die Fascho-Jusos verbinden auf drastische Weise den
Rückgriff auf national-revolutionäre Positionen seit der Jahrhundertwende mit
der aktuellen Sozialabbau-Politik. Sascha Jung dokumentierte im April 1995 im
"Politischen Rundbrief" der Gruppe seine Sympathie für die bayrische
SPD-Vorsitzende Renate Schmidt, die sich im November 1994 lauthals gegen den
angeblichen Sozialmißbrauch vorgewagt und drastische Einschnitte in den
Verorgungssystemen gefordert hatte. Ohne Umschweife schließen sich die
Hofgeismarer dem "antihedonistischen" Kurs des SPD-Vize Wolfgang
Thierse an, dessen Quelle sie im schwärmerisch verehrten
"Kriegssozialismus" des Ersten Weltkriegs sehen. Sie passen damit
sicher besser in die neuen deutschen Zeiten als die Juso-Linke, die den
Kriegsdienst verweigert, und es ist wohl auch kein Zufall, daß die Hofgeismarer
ein Männerverein sind. Es gibt schon längst wieder Eliten in Deutschland, die
harte Jungs und kernige Helden den hedonistischen Softies vorziehen. […]
Daß die Hofgeismarer zu ungestüm vorgingen, hier und da den Mund zu weit aufrissen, brachte ihren Führern Jung und Heinze 1994 ein mildes einjähriges Funktionsverbot in der SPD ein, das zudem nach Presseberichten vor Ort nicht eingehalten wurde. Im Urteil des SPD-Schiedsgerichts hieß es, "daß die Position der Antragsgegner (Jung und Heinze, P. K.) mit dem Begriff deutschnational, geschweige denn rechtsextrem oder neonazistisch nicht sachgerecht beschrieben wird" und daß die Medien "in einem für die Schiedskommission erschreckenden Ausmaß unkorrekt, undifferenziert-pauschalisierend, aufbauschend und ungerecht-insinuierend" über die Fascho-Jusos berichtet hätten. Triumphierend schrieb Jung im April 1995, "am 03. Februar um 24.00 Uhr" sei "das einjährige Funktionsverbot gegen Harald Heinze und mich abgelaufen".
Und dann legten sie erst einmal kräftig nach. Ein
Brief des Kriegshetzers Ludwig Frank vom August 1914 wurde als
Juso-Orientierung zitiert: "Die Strapazen der Felddienstübung und des
Marsches ertrage ich mühelos. Ich bin froh darüber: Das Blut für das Vaterland
fließen zu lassen, ist nicht schwer und umgeben von Romantik und Heldentum."
[…]
Larisch lobte im selben Rundbrief vom April 1995
die österreichische Neonazi-Zeitschrift "Aula", sie habe - wohl im
Gegensatz zu der Presse, die die SPD-Schiedskommission kritisierte -
"äußerst sachlich und gut informiert" über die neuen Hofgeismarer
berichtet; "sowohl Literatur und Presse, als auch unsere eigenen
Veröffentlichungen scheinen hier ausschöpfend gesichtet worden zu sein, so daß
ein umfassend informierender Artikel entstanden ist." Die österreichische
Polizei brachte die Zeitschrift "Aula" mit den Briefbombenattentaten
von 1994/95 in Verbindung, die auch die Lübecker SPD-Stadtratsfraktion trafen,
und beschlagnahmte schon Anfang März 1995 im Rahmen der Ermittlungen die
"Aula"-Abonnenten-Datei. […] Der "Aula"-Autor des
Hofgeismar-Artikels schreibt auch in der "Jungen Freiheit", die im
Januar 1995 einen Artikel von Sascha Jung abdruckte. Den aber wollte Jung im
April 1995 nicht autorisiert haben. […]
Rainer Zeimentz, beim Parteivorstand für die
Beobachtung des Rechtsextremismus mit zuständig, sah in einem internen Papier
vom Juni 1993 die Gefahr deutlicher: "Es muß unbedingt verhindert werden,
daß aus dem regionalen Ärgernis der rechten Jusos Leipzig ein Netzwerk für
rechte Gesinnung innerhalb der SPD wird." Doch die Mahnung blieb ungehört.
Niekischs ASP-Zeitung "Der Volksstaat"
schätzte 1926 das Verhältnis Hofgeismarer-SPD so ein: "Immer konnte man
den Eindruck haben, daß der Parteivorstand sich zwar nicht getraute, sich offen
zum nationalen Gedanken und Lebensgewohnheiten zu bekennen, daß er aber mit
heimlichem und tätigem Wohlwollen auf die nationalen Bekenntnisse dieses
jungsozialistischen Nachwuchses blickte und immer schützend die Hände über ihn
halte." […]
"Es ist eine kapitale Fehleinschätzung zu
glauben, Rechtsextremismus sei eine Angelegenheit von 'Ewiggestrigen',
dumpfdröhnenden Biertisch-Strategen oder verelendeten Skinheads. Themen werden
breit aufgenommen und oft bewußt in sprachlicher Nähe zu Sozialdemokraten oder
Grünen angegangen (z. B. Ökologie, Renten, Gesundheitsreform, Abrüstung).
Dahinter verbergen sich jedoch nur scheinbar deren Ideen. Es ist zu sehr aus
dem Blickfeld geraten, daß die deutsche Rechte durchaus Traditionen hat, die sich
im Nationalsozialismus nicht durchsetzen konnten, aber ihm sehr wohl in den
Sattel geholfen haben. Die Deutsch-Nationalen sind dafür ein Beispiel, der
'linke' Strasser-Flügel der Nazis ein anderes. ... Die pseudowissenschaftlichen
Hilfstruppen der extremen Rechten tun ein übriges zur vereinheitlichenden
Kontaktpflege: Vom Stahlhelm-Flügel der CDU/CSU bis hin zu alten und neuen
Faschisten reicht der Kreis derer, die rechtsaußen Ideologie fleißig
diskutieren und hoffähig machen wollen. Zeitschriften wie 'Mut', 'Nation
Europa', 'Criticon' oder 'Elemente' sind dafür beredte Zeugnisse."
Dieser Abschnitt stand Ende der 80er Jahre in einem
Flugblatt des SPD-Parteivorstands, "Thema: Rechtsextremismus". […] Wer
diese Entwicklung [heute] innerhalb der SPD kritisieren will, muß mit
Konsequenzen rechnen.
Noch bevor das Grundgesetz verabschiedet war, faßte
die Partei den Beschluß, daß die Mitgliedschaft in der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), der größten
Organisation der Nazi-Opfer, nicht mit der SPD-Mitgliedschaft vereinbar sei.
Wer glaubt, das würde sich nun ändern, nachdem ein langjähriges prominentes
VVN-Mitglied, der neue Bremer Bürgermeister Henning Scherf, Chef einer
SPD-geführten Landesregierung ist, wird enttäuscht werden. Der Unvereinbarkeits-beschluß
zur VVN ist einer der beständigsten Teile sozialdemokratischer
Nachkriegspolitik. Die "Arbeitsgemeinschaft verfolgter
Sozialdemokraten" (AvS) war ursprünglich ein Konkurrenzunternehmen zur
VVN, das sich nach dem Ende der DDR totalitarismustheoretisch erweiterte und
sich heute vorwiegend mit den Opfern des Stalinismus befaßt. Sein Vorsitzender
Heinz Putzrath schrieb 1989 über die REPs: "Das Programm der Republikaner
läßt sie als eine konservative, deutschnationale Partei erscheinen, die auf dem
Boden des Grundgesetzes steht und sich von Nationalsozialisten der
Vergangenheit distanziert." Im selben Jahr - als REPs und NPD ihre ersten
spektakulären Wahlerfolge hatten - sprach sich die AvS rundheraus und
undifferenziert gegen antifaschistische Demonstrationen aus; der
innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wilfried Penner, warnte
ebenso undifferenziert vor jeglichen Verboten neofaschistischer Organisationen.
So läßt sich wohl auch dann kein Antifaschismus betreiben, wenn man wollte.
Der linke Düsseldorfer SPD-Bundestagsabgeordnete
Karl-Heinz Hansen erfuhr in den 70er Jahren, als mit Willy Brandt ein prominter
Antifaschist Bundeskanzler war, was dies in seiner Partei konkret bedeutete. Er
hatte von der Bundesregierung verlangt, sich bei den USA dafür einzusetzen, daß
das Berliner US-Document-Center mit Millionen Daten über Nazi-Aktivisten aus
der Verwaltung der Alliierten in deutsche Hände überführt werde, damit auch
deutsche Antifaschisten freien Zugang zu den Dokumenten bekämen, was bis dahin
fast nur für Bürger der Kriegssiegerstaaten möglich war. Doch Willy Brandt
lehnte ab; es befanden sich zuviele Hinweise auf Personen im
US-Document-Center, die inzwischen die Seite gewechselt hatten und sich nach
jahrelanger Treue zu den Nazis während des "Dritten Reiches" nun
jahrelang als stramme Sozialdemokraten bewährt hatten. […]
Das rechtsextreme Lager wählt mehrheitlich
die Unionsparteien und an zweiter Stelle die SPD. Rechtsextreme Parteien
mobilisieren dagegen nur einen winzigen Teil des Kuchens", so resümierte
1993 der sozialdemokratische Parteienforscher Richard Stöss von der Freien
Universtät Berlin mehrere Studien, die rechtsextreme Einstellungen zum
Wahlverhalten in Beziehung setzten. Danach wählten Rechtsextremisten, die mit
Hilfe von Einstellungsskalen in Meinungsumfragen identifiziert wurden, zu 25
Prozent die SPD, dagegen nur zu 6 Prozent die "Republikaner". […]
Als prominente Wechsler machten Schlagzeilen:
Werner Müller, als Parteimitglied unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt
Chef der Abteilung Inland im Bundespresseamt, 1991 zum Chef der Berliner
"Republikaner" gewählt, oder der ehemalige Oberbürgermeister von
Würzburg, Klaus Zeitler, der 1992 von der SPD zu den REPs übertrat. Solche
Entwicklungen, die es ähnlich auch schon in den frühen 30er Jahren gab, gelten
in der SPD als Argument dafür, lieber keinen Antifaschismus zu betreiben,
sondern die Partei nach rechts zu verschieben, obwohl dies auch schon in den
30ern den Rechtsruck der gesamten Gesellschaft nur beschleunigte statt
verhinderte.
Heute gibt es beim SPD-Parteivorstand zwar mit
Rainer Zeimentz eine Stelle, die sich damit befaßt, den Neofaschismus zu
beobachten, ohne ihn so zu benennen. Auch die Bundestagsfraktion hat seit der
12. Legislaturperiode 1990 eine "Projekt-Arbeitsgruppe 'Bekämpfung von
Rechtsextremismus und Gewalt'" eingerichtet, doch ihre Kampfmittel
erscheinen zweifelhaft: Einer der Wortführer der Arbeitsgruppe war SPD-MdB
Jochen Welt, der sich einen Namen machte als vehementer Verfechter sowohl der
Abschaffung des Asylrechts als auch der Errichtung einer elektronischen
Überwachung der Oder-Neiße-Grenze auf illegale Flüchtlingsübertritte. "Das
Boot ist wirklich voll. Wir lenzen bereits mit aller Kraft. ... Die Gemeinden,
speziell die der Ballungsgebiete, können keine neuen Zuwanderer mehr
ertragen!", schrieb er schon im Oktober 1990 im "Vorwärts" als
Bürgermeister von Recklinghausen, kurz bevor er in den Bundestag einzog und die
Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes betrieb. […]
Die Partei behandelt die Rechtsentwicklung im
wiedervereinigten Deutschland überwiegend als ein Problem gewalttätiger,
desorientierter Jugendlicher. Dennoch kürzen die sozialdemokratisch regierten
Kommunen zur Zeit ihre Haushalte breit im Bereich der Jugendarbeit. […] Bis hin
zu den Jusos stellen die umstrittenen Thesen des Jugendforschers Wilhelm
Heitmeyer die Grundlage der Antifa-Arbeit dar: Zerstörte Familien und sich
auflösende Sozialmilieus stießen die Jugendlichen in Identitätskrisen, so
Heitmeyer, Orientierung und emotionale Sicherheiten suchten sie sich daher beim
gewalttätigen Nationalismus, von dem Heitmeyer behauptet, er sei das letzte
noch funktionierende Sozialmilieu der Gesellschaft. Als hätten die patriarchal
strukturierten Arbeiterfamilien der 20er Jahre oder die muffige Romantik der
Bündischen Jugend den Faschismus verhindert! […]
Wo Faschismus nur als Halbstarken-Krawall angesehen
wird, braucht man keine Antifaschisten. […]
Anti-Antifa betreiben heute in der SPD vor allem Armin Pfahl-Traughber,
Wolfgang Kowalsky oder Wolfgang Rudzio. Während Pfahl-Traughber in linken
sozialdemokratischen Antifa-Initiativen Informationen sammelte, die er dann
später als Angestellte der Verfassungsschutzes gut gebrauchen konnte, wurde vor
allem Kowalskys Buch "Rechtsaußen ... und die verfehlten Strategien der
deutschen Linken", das unter Zitelmanns Lektorat neben Jörg Haiders oder
Alfred Mechtersheimers Büchern in der Reihe "Ullstein Report" erschien,
zur Bibel derer, die Antifaschisten aus der SPD ausgrenzen. […]
Die Zeitschrift "Criticon" kommentierte:
"Für diejenigen Konservativen, welche sich immer noch von der
Auschwitz-Keule beeindrucken lassen, ist Kowalskys Buch heilsam." Das
rechtsextremistische Blatt "Nation und Europa" fand Kowalskys Buch
"eine Lust". Man versteht sich eben. Der antifaschistische Autor
Detlev Claussen - wirklich kein Marxist - kritisierte Kowalsky, er betreibe die
"Bekämpfung des rechten Extremismus durch Eingemeindung". Rudzio -
als SPD-Mitglied 1973 auf eine Professur an der Oldenburger Reform-Universität
gehievt - sammelte in den 80er Jahren breit Daten über die geächtete
Zusammenarbeit von Sozialdemokraten mit DKP und VVN. Seine Erkenntnisse dienen
Zitelmann in dessen Buch "Wohin treibt die Republik?" von 1995 als
Beweis für eine Linksdrift, und die "Junge Freiheit" goutierte
Rudzios Auftritt gegen die autonome Antifa […].
Der Kampf gegen den Neofaschismus hatte schon in
den 80er Jahren innerhalb der Sozialdemokratie allenfalls noch eine
Feigenblattfunktion. Von den Ortsvereinen bis zur "Baracke" hieß die
am meisten fortschrittliche Parole: "Gegen Rechtsextremismus? Laßt das mal
die Jusos machen, da können die sich abreagieren!" Einfluß auf die Politik
der Partei war so nicht zu gewinnen, Antifa-Arbeit wurde zur geduldeten
Spielwiese degradiert. Viele antifaschistische Aktivisten, gerade in linken
Juso-Bezirken, haben inzwischen die Konsequenzen daraus gezogen und für ihre
Arbeit autonome Strukturen aufgebaut. Die Antwort lokaler Parteigrößen hierauf
ist es oftmals, sie dann auch von der Büroinfrastruktur der SPD abzukoppeln:
keine elektronischen Schlüsselkarten für die Fotokopiergeräte mehr, keine
Portozuschüsse mehr für die Infopost, keine Treffen mehr im Parteibüro. […]
Die bisherige Strategie der SPD-Spitze, gerade
diejenigen innerparteilich ins Leere laufen zu lassen, die sich an dem alten
"Thema: Rechtsextremismus"-Flugblatt des Parteivorstands orientierten
und deshalb die einflußreichen Intellektuellen des Neofaschismus - Konservative
Revolution, Nationalrevolutinäre, "Neue Rechte" - ins Zentrum ihrer
Antifa-Politik stellten, wurde Mitte der 90er Jahre von offener Repression
abgelöst. Der Grund dafür, die bisherige lange Leine zur Peitsche umzuwandeln,
liegt wohl vor allem darin, daß sich auch prominente Sozialdemokraten in
Teilgebieten den Positionen der "Neuen Rechten" angenähert haben. Die
Asylpolitik war bisher das bekannteste Beispiel. Allerdings zeigte sie auch - ebenso
wie die Militärpolitik gegenüber den Staaten des ehemaligen Jugoslawien -, daß
sich die Partei eine liberale Haltung leisten kann: Um im Bundestag die nötigen
Mehrheiten für neokonservative Politik zu bekommen, reicht es nämlich aus, wenn
nur ein Teil der SPD-Abgeordneten mit CDU/CSU und FDP stimmt, der andere aber
zur Pflege des progressiven Images - und ohne jede politische Wirkung - dagegen
opponiert. Etliche aus der Bundestagsfraktion, die standhaft auf ihrer
Minderheitenposition beharrten und gegen die faktische Abschaffung des
Asylrechts stimmten, kehrten dennoch nicht in den 1994 neu gewählten Bundestag
zurück.
Eine Betroffene der neuen Repression war die
niedersächsische Abgeordnete Margitta Terborg, die sich auch in der
Blauhelm-Debatte der frühen 90er Jahre partout nicht nach rechts bewegen
wollte. Allerdings konnte die Parteispitze ihr das Mandat nicht abnehmen, weil
Terborg ihren Wahlkreis seit mehr als zehn Jahren immer direkt gewinnt.
Dennoch: die Geschäftsführung der SPD-Bundestagsfraktion unter Peter Struck
weigerte sich schließlich sogar, Terborgs Pressemitteilungen herauszugeben und
zu verteilen, wie es als Dienstleistung der Fraktion für alle ihre Mitglieder
üblich ist. "Für die Kriegswütigen eine Fremdenlegion", forderte die
Pazifistin darin ironisch und kündigte an, "meinen schießwütigen Kollegen
in meiner Partei (zu) empfehlen, bei der Fremdenlegion oder in einem
'Friedenskorps' der NATO, der WEU, der KSZE oder sonstwo anzuheuern, damit sie
endlich einmal die Chance haben, einen Krieg selbst zu erleben und zu
überleben". Terborg blies nicht in Sonntagsreden auf Friedensschalmeien,
sondern wollte praktische Lehren aus den historischen Fehlern der
Sozialdemokratie ziehen. In einer weiteren Pressemitteilung schrieb sie in
Anspielung auf Ernst Jünger: "Den nächsten Krieg gewinnen wir. Unter dem
Etikett der UNO. Und weil offenbar die Mehrheit der Väter in unserer Republik
ihre Söhne und Enkel mal wieder in ein 'Stahlgewitter' schicken wollen. Das
ehemalige Jugoslawien bietet sich an. Aber auch der Nahe Osten, bald die
ehemalige Sowjetunion, und natürlich Afrika liefern Aktionsfelder. ... Als
Mutter sage ich: mein Kind wird nicht am nächsten Krieg unter UNO-Flagge
teilnehmen. Und ich hoffe, daß die Mehrzahl der Mütter in Deutschland ebenso
denkt." Über ihrer Erklärung stand: "Folgender Artikel durfte im
SPD-Pressedienst nicht erscheinen. Die Fraktion hat es auch abgelehnt, ihn zu
verteilen."
Die Bedeutung der Konservativen Revolution in der
SPD erkennt man weniger an verquasten Formulierungen aus jugendlichem Sturm und
Drang der Hofgeismarer, als vielmehr an der Reaktion der Parteispitze auf
antifaschistische Kritik. Den Zusammenhang mancher Entwicklungen innerhalb der
historischen Sozialdemokratie zum Faschimus hin zu klären, ist nicht erwünscht,
Verantwortung dafür zu übernehmen, nicht attraktiv, daraus für die heutige
Politik zu lernen, nicht opportun. Diese Aufgabe der "Historischen
Kommission beim Parteivorstand der SPD" bleibt unerledigt, um das Image
eines monolithischen antifaschistischen Widerstands zwischen 1933 und 1945
nicht zu gefährden, das diejenigen nach 1945 von sich aufbauten, die 1933 im
Reichstag für die "Friedensresolution" Hitlers gestimmt hatten. […]
Die fehlende Selbstkritik erleichtert es heute den
Apologeten, unerkannt auf die alten Konzepte zurückzugreifen. Schon 1986 und
1987 veröffentlichte der "Sozialdemokratische Pressedienst" die
nationalrevolutionären Hintergründe der Ammon/Fichter-Gruppen. Daraufhin
machten beide in der Partei mobil, und Willy Brandt schrieb Ammon einen tröstenden
Brief: Er hoffe, daß die wiederkehrenden Veröffentlichungen Ammon nicht schaden
würden. Ammon, Schweisfurth und andere aus ihrem Umfeld erhielten nach etlichen
Enthüllungsartikeln in der sozialdemokratischen Presse immer wieder die
Möglichkeit, ihre Bündnispolitik mit Neofaschisten in eigenen Beiträgen zu
rechtfertigen. Inzwischen sind sie den Weg zu Ende gegangen, den die
"Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus" und ihr Nachfolger,
das "Bonner Institut für Faschismus-Forschung und Antifaschistische
Aktion", in etlichen Veröffentlichungen seit den 80er Jahren beschrieben
haben: Schweisfurth zu Benoist und "Großdeutschland", Ammon zur
"Jungen Freiheit", Stolz zu "MUT", Mechtersheimer und
Schmidt-Eenboom zum Umfeld der "Auschwitz-Lügner"-Szene, Fichter zu
Zitelmann und Fleissner usw.
Als 1987 ein Artikel, der noch einmal die
Personenbündnisse von Peter Brandt über Henning Eichberg bis Wolf Schenke
darstellte, im sozialdemokratischen Pressedienst "ppp" erschienen
war, schrieb der Chefredakteur des Pressedienstes, Helmut G. Schmidt, an
Fichter: "Ich übernehme die volle politische Verantwortung für diesen
Vorfall und habe heute Willy Brandt den Rücktritt von allen meinen Funktionen
angeboten." Statt dessen trat Brandt kurz darauf selbst zurück, allerdings
wegen der innerparteilichen Proteste gegen die Griechin Margarita Mathiopoulos,
die Brandt zur Pressesprecherin der deutschen SPD hatte machen wollen. Welchen
Strum im Wasserglas mußte es gegeben haben, wenn Schmidt wegen eines Artikels,
der Fichters Zusammenarbeit mit Nationalrevolutionären darstellte, sogleich
seinen Rücktritt anbot!
Seitdem durfte in keinem SPD-Blatt mehr über die
Verbindungen Fichters, Ammons und Peter Brandts zum Neofaschismus geschrieben
werden. Lediglich zu den neuen Hofgeismarern brachte der Pressedienst
"blick nach rechts" der SPD noch ein paar kritische Anmerkungen. Daß
jeder öffentliche Hinweis auf die Nähe von Peter Glotz oder Wolfgang Thierse zu den Positionen der
Konservativen Revolution den sofortigen Rauswurf
des Verantwortlichen zur Folge hätte, daran besteht in der Bonner
Parteizentrale ebensowenig ein Zweifel wie in der SPD-Bundestagsfraktion.
Hier waren es bisher vor allem die
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, Rudolf Dreßler und bis
zur Wahl 1994 Renate Schmidt, die Nibelungentreue verlangten und dabei halfen,
Vertreter des linken Parteiflügels nicht etwa nur kaltzustellen, sondern
kurzerhand hinauszuwerfen. Struck hatte schon die Asyl- und Blauhelm-Wende in
der Fraktion durchgesetzt, Dreßler hatte in Verhandlungen mit den Fraktionen
der Regierungskoalition Sozialkürzungen zustimmungsfähig gemacht, die bayrische
SPD-Landesvorsitzende Schmidt begann nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag
die innerparteiliche Debatte um den angeblichen Mißbrauch von Sozialleistungen.
Hans-Jochen Vogel, früherer Partei- und
Fraktionsvorsitzender, unter dem Fichter Karriere machte, hielt die schützende
Hand über den Bildungsreferenten, nachdem es am Rande des Wiesbadener
Parteitags im November 1993 Proteste gegen Fichter gegeben hatte. Vogel übte
hinter den Kulissen erfolgreich Druck gegen Kritiker aus und war auch in der
Bundestagsfraktion bemüht, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die vor den
Bündnispartnern des Neofaschismus in der SPD warnten. Das geschäftsführende
Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung, Jürgen Burckhardt, schaltete
sich bereits im September 1993 ein und verlangte in einem Brief an Struck
Konsequenzen, damit die FES nicht länger wegen ihrer Unterstützung der
Nationalrevolutionäre öffentlich angegriffen werde. Wer es wagte, die
FES-Einladungen an Ammon oder Mechtersheimer zu kritisieren, sei "aus
unserer Sicht ... mehr ein Fall für eine psychologische Beratung ..., denn für
eine ernsthafte politische Auseinandersetzung", so Burckhardt am 15.
September 1993 an den "lieben Peter" Struck, "mit freundlichen
Grüßen Dein Jürgen."[…]
Die Mitarbeiter der SPD-Bundestagsabgeordneten
beschlossen im Dezember 1993 auf einer Vollversammlung mit Zweidrittelmehrheit
ein Papier, daß öffentliche Kritik an Tilman Fichter verurteilte. […]
Im März 1994 dann fand sich ein eigenartiges
Quintett zusammen, das gemeinsam initiativ wurde und forderte, innerparteiliche
Kritik an ihrer Zusammenarbeit mit Neofaschisten müsse von höchsten Stellen
administrativ unterbunden werden: Peter Brandt, Tilman Fichter, Erich
Schmidt-Eenboom, der Europaabgeordnete Dieter Schinzel und Helmut Lölhöffel,
ein SPD-naher, mit Struck und Dreßler befreundeter Journalist, dessen
Nazi-Kontakte aufgedeckt und sogar gerichtlich bestätigt worden waren. Sie
verlangten nun in einem gemeinsamen Brief an Struck, sozialdemokratische
Antifaschisten rauszuwerfen, die weiterhin über ihre Rechtsaußen-Politik
berichteten. Struck solle "darauf hinwirken, daß diese Aktivitäten nicht
aus der SPD heraus fortgeführt werden".
Die Herren hatten allen Grund, das Licht der
Öffentlichkeit zu scheuen, denn ihr Milieu war nicht nur rechts, es wurde
zunehmend kriminell. Schinzel hatte sich Ende 1993 von Mechtersheimer als
"Präsident" eines "Deutsch-Arabischen Friedenswerkes" (DAF)
werben lassen, das im wesentlichen durch die Ideen Mechtersheimers, Eichbergs
und von Rolf Stolz bestimmt wurde. Mechtersheimer führte das DAF aus seinem
"Friedenskomitee 2000"-Büro heraus. Über die Finanzierung der Organisation
wurde deshalb sofort in die Richtung der Gaddafi-Dollars spekuliert, die an
Mechtersheimer geflossen sein sollten. Ungefragt, aber per Einschreiben,
schrieb Mechtersheimer am 24. Oktober 1994 einen Brief an den Verfasser des
vorliegenden Buches. Libysches Geld aus der
"Muhammar-al-Gaddafi-Stiftung" stecke nicht "im
DAF-Projekt", beeilte er sich zu bekunden. Was es mit der Million Dollar
von Gaddafi auf sich hatte, die seine früheren Kollegen aus dem
"Forschungsinstitut für Friedenspolitik e. V." - darunter
Schmidt-Eenboom - ihm im Oktober 1994 in Zeitschrift "Wissenschaft und
Frieden" persönlich definitiv zugerechnet hatten, dazu nahm Mechtersheimer
jedoch nicht Stellung. […]
Mechtersheimer vertrieb 1993 über das DAF neben
Eichberg-Äußerungen auch Literatur aus der rechtsextremistischen
"Verlagsgesellschaft Berg" des Gerd Sudholt. Das Mitglied des
Europäischen Parlaments Dieter Schinzel, inzwischen Präsident des DAF, [war] als
Präsident der seriösen "Deutsch-Arabischen Gesellschaft" […] vom
Vorstand wegen finanzieller Probleme abgesetzt [worden]. […] Friedenswerk"
hin oder her, die "Aachener Volkszeitung" berichtete im Januar 1995,
Schinzel habe im Konkursverfahren vor dem Aachener Amtsgericht beteuert, bald
wieder zu Geld zu kommen und seine Schulden zu bezahlen, denn er mache
Geschäfte "in Krisengebieten dieser Welt".
Wenige Wochen, nachdem das Quintett Schinzel,
Fichter, Brandt, Schmidt-Eenboom und Lölhöffel - wohl in der Hoffnung, durch
innerparteiliche Repression aus den Antifa-Schlagzeilen zu kommen - ihren Brief
an Struck geschrieben hatten, schlug die Öffentlichkeit wieder zu, diesmal in
Gestalt der Staatsgewalt: DAF-Präsident und SPD-MdEP Schinzel wurde in
flagranti verhaftet und beschuldigt, versucht zu haben, mehrere Millionen
gefälschter Schweizer Franken zu verkaufen. Ein V-Mann der Polizei hatte den
Deal auffliegen lassen. Wochenlang saß Schinzel in Untersuchungshaft und wurde
nur gegen Meldeauflagen bis zum Prozeß entlassen. Die undurchsichtige
Agentenaffäre harrt noch der strafrechtlichen Aufklärung.
Tilman Fichter hatte besseres zu tun. Im März 1994,
eine Woche nach der gemeinsamen Antifa-raus!-Forderung gegenüber Struck, sagte
er der "taz" in einem Interview, er habe in der Partei keine
Schwierigkeiten wegen seiner rechten Politik: "Die heutige SPD ist eine
erstaunlich liberale Partei. ... Ich trete seit vielen Jahren für die Freiheit
der Andersdenkenden ein. ... Rosa Luxemburg hat recht, wenn sie sagt, daß
Freiheit nicht nur ein hohes Gut für die eigenen Leute ist, sondern auch für
die Andersdenkenden."
_________________
Aus dem Lebenslauf von Heinrich Deist (1902 – 1964); Archiv der
Friedrich Ebert Stiftung:
http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_d/deist-he.htm
_______________
Im Gespräch [mit Lorenz Jäger]: Ulrich Raulff: Wie hat George unser Land geprägt? -
http://www.faz.net/-gso-145bp
25.10.2009 · Wir treffen Ulrich Raulff im Marbacher Literaturarchiv, das samstäglich still und wie in sich gekehrt wirkt. Der Direktor dagegen ist höchst lebhaft und überrascht vom großen Interesse an dem Buch über Stefan George, das er gerade veröffentlicht hat ["Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben. Eine abgründige Geschichte."].
Ulrich Raulff: Das Überraschendste war zweifellos, wie dicht ich im Laufe der Studien an meine Gegenwart, an meine Erfahrungs- und Lebenswelt, auch in meine sozialen Gruppen kommen würde. Denn ich höre zwar erklärtermaßen 1968 auf, im Jahr des hundertsten Geburtstages von George. Tatsächlich erlaube ich mir aber, Spuren nachzugehen, die bis in die achtziger Jahre führen, etwa zur Gründung des Wissenschaftskollegs in Berlin – und damit zu Namen von Kollegen, die wir alle
[Lorenz Jäger:] ... Mir wiederum kam die Figur von Adolf Reichwein sehr nahe, dem sozialdemokratischen Bildungspolitiker und späteren Widerständler.
[Raulff:] Eine ungeheuer interessante Gestalt. Er ist von vielen Stilelementen her der Typus des „Arbeiters“, wie ihn Ernst Jünger beschrieben hat. Durchweg technisch modern. Mit dem kleinen Flieger, mit dem er unterwegs ist . . .
[Jäger:] Und er vertritt als Sozialdemokrat die Arbeiterklasse . . .
[Raulff:] ... er vertritt die Arbeiterklasse, und er sucht das Abenteuer ...und schreibt ... ein Buch, das man sich mal ansehen muss. Denn die Ikonographie könnte auch in einem reinen Nazi-Schulbuch zu finden sein. Und das ist genau der Typus von Buch, nach dem ich in den fünfziger Jahren an der Volksschule noch unterrichtet wurde. Ich habe meinen alten Lehrer angerufen und gefragt: Hatten Sie Reichwein gelesen? Er hatte noch nie von ihm gehört, aber er hat haarscharf den Unterricht gemacht, den Reichwein in den dreißiger Jahren in Tiefensee nördlich von Berlin erteilt hat. ...
Wir haben zwanzig, dreißig Jahre lang erlebt, dass alle paar Jahre eine neue Geschichte der Frankfurter Schule herauskam. Dieses linksliberale Stratum unserer Ideen und Geistesgeschichte, unserer bundesrepublikanischen Formationsgeschichte ist bis auf den Grund erforscht worden. Besenrein ausgeforscht. Auf der rechten oder konservativen Seite dagegen herrschte immer ein angenehmes Halbdunkel. Man wusste, es gibt da auch ähnlich virulente Orte. Plettenberg im Falle von Carl Schmitt. Dann Wilflingen – im Süden gibt es dieses Heidegger-Jünger-Netz, das über Ernst Klett und Klostermann, die Verleger, mit dem George-Netz verknüpft ist. Hans Grimm hatte im Norden seine „Lippoldsberger Dichtertage“. Und es gibt das Netz um Arnold Gehlen. Das war alles sehr wenig erforscht, und jetzt ändert sich das. Auch Münster und die Schule von Joachim Ritter sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Mit anderen Worten, jetzt wird die konservative Seite stärker beforscht, erweist sich auch langfristig als interessanter – weil vermutlich doch der interessantere Teil der Geistesgeschichte sich auf dieser Seite abgespielt hat. ...
[Jäger:]. ... den Kreis zwischen Bendlerblock mit Stauffenberg, der am Sterbebett Georges die Totenwache hielt, und dem Wilhelmstraßenprozess mit dem Angeklagten Ernst von Weizsäcker, der den Kranz des Deutschen Reiches am Grab niederlegt. ...
[Raulff:] Die „Zeit“ brachte kürzlich einen Artikel von Robert Norton, in dem er nachweisen wollte, dass von George nur Wege in die geistige Knechtschaft führten und damit in den Geist des Nazitums und eben keine Wege in den Widerstand oder zum Einsatz für die Unterdrückten. Aber George war so ambivalent und hat mit solchem Fleiß darauf geachtet, die Ambivalenz zu wahren, um im entscheidenden Moment sagen zu können: Das ist das Gemeinte. Man kann ihn für alles in Anspruch nehmen, für Akte des Widerstands, aber auch für Akte der Knechtung und der Selbstknechtung.
___________
Hofgeismar: Hans-Grimm-Weg kein Thema
http://www.hna.de/lokales/hofgeismar/hans-grimm-weg-kein-thema-2499158.html
Hessische/Niedersächsische Allgemeine
Trendelburger Politiker sehen derzeit keine Veranlassung, über
Gottsbüren / Trendelburg. Die Politiker in Trendelburg haben sich bisher nicht
Bürgermeister Kai Georg Bachmann, dem zum Namen Hans Grimm spontan keine Details
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dieter Uffelmann, bezweifelt, dass der Name
Kerstin Baumann von der CDU-Fraktion ist der Name Hans Grimm bekannt, man habe
Heimatforscher und Mönchs-Darsteller Egon Haake aus Gottsbüren kennt den
Die ursprüngliche Namensnennung sei in den 50er Jahren erfolgt, habe aber mit
Mehr Hintergrund lesen Sie in der gedruckten Mittwochausgabe der Hofgeismarer
Umfrage: Geteilte Meinung zum Straßennamen
In Gottsbüren ist eine Straße nach dem deutschnationalen Schriftsteller Hans
Das Voting ist beendet. Es wurde wie folgt abgestimmt:
Zu Hans Grimm siehe auch
http://guttmensch.blogspot.de/2012/03/mehr-zum-thema-nostalgie.html
(z.B. Kommentare 26. Januar und 13. März 2013)
(Hans-Christian Sarrazin - Paul Fechter - Arthur Moeller van den Bruck - Hans Grimm - Will Vesper)
Heimatkalender für den Kreis Hofgeismar, 1930
Hrsg. Willi Vesper
Texte von Willi Vesper, Hans Grimm u.a.
http://www.booklooker.de/B%FCcher/Kreisausschu%DF-Hofgeismar+Heimatkalender-f%FCr-den-Kreis-Hofgeismar-1930/id/A01kGbLb01ZZ3
_________________
“Innerer Widerstand” (vgl. Paul Fechter)
“Um dem Druck dieser politischen Überwachung durch die Nationalsozialisten zu
entgehen, entschloß Heinrich Deist sich nach gründlicher Absprache mit
politischen Freunden 1938, der NSDAP beizutreten.”
_______________
Im Gespräch [mit Lorenz Jäger]: Ulrich Raulff: Wie hat George unser Land geprägt? -
http://www.faz.net/-gso-145bp
25.10.2009 · Wir treffen Ulrich Raulff im Marbacher Literaturarchiv, das samstäglich still und wie in sich gekehrt wirkt. Der Direktor dagegen ist höchst lebhaft und überrascht vom großen Interesse an dem Buch über Stefan George, das er gerade veröffentlicht hat ["Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben. Eine abgründige Geschichte."].
Ulrich Raulff: Das Überraschendste war zweifellos, wie dicht ich im Laufe der Studien an meine Gegenwart, an meine Erfahrungs- und Lebenswelt, auch in meine sozialen Gruppen kommen würde. Denn ich höre zwar erklärtermaßen 1968 auf, im Jahr des hundertsten Geburtstages von George. Tatsächlich erlaube ich mir aber, Spuren nachzugehen, die bis in die achtziger Jahre führen, etwa zur Gründung des Wissenschaftskollegs in Berlin – und damit zu Namen von Kollegen, die wir alle
kennen. ...
Ich wusste immer, dass es Verbindungen von George in die Reformpädagogik gab. Schon sehr früh, in Wickersdorf, dem Landschulheim; etwas weiter entfernt auch in Salem, der Schule von Kurt Hahn. Stärker wieder in dem Internat Birklehof im Schwarzwald, wo Picht wirkte. Diesen Spuren wollte ich
nachgehen. Und es gibt in diesem Zusammenhang ein einziges Thema aus dem ganzen George-Zusammenhang, über das ich noch einmal forschen möchte. Das Kapitel würde heißen: George in Palästina. Das würde mich reizen, die Nachwirkung in einer ganzen Reihe von jungzionistischen Gruppen. ...
Scholem war natürlich mit dieser Gedankenwelt vertraut. Es gab ja auch Parallelkreise wie den Forte-Kreis, mit dem Scholem noch in Berührung gekommen war. Oder nehmen Sie zum Beispiel den Eucken-Kreis: Das sind Erwartungs- und Erregungsmuster, die es auch jenseits von George gab. Meistens um ähnliche charismatische Figuren gebildet. Kreise waren ein Erfolgsmodell, eine Marke...
[Lorenz Jäger:] ... Mir wiederum kam die Figur von Adolf Reichwein sehr nahe, dem sozialdemokratischen Bildungspolitiker und späteren Widerständler.
[Raulff:] Eine ungeheuer interessante Gestalt. Er ist von vielen Stilelementen her der Typus des „Arbeiters“, wie ihn Ernst Jünger beschrieben hat. Durchweg technisch modern. Mit dem kleinen Flieger, mit dem er unterwegs ist . . .
[Jäger:] Und er vertritt als Sozialdemokrat die Arbeiterklasse . . .
[Raulff:] ... er vertritt die Arbeiterklasse, und er sucht das Abenteuer ...und schreibt ... ein Buch, das man sich mal ansehen muss. Denn die Ikonographie könnte auch in einem reinen Nazi-Schulbuch zu finden sein. Und das ist genau der Typus von Buch, nach dem ich in den fünfziger Jahren an der Volksschule noch unterrichtet wurde. Ich habe meinen alten Lehrer angerufen und gefragt: Hatten Sie Reichwein gelesen? Er hatte noch nie von ihm gehört, aber er hat haarscharf den Unterricht gemacht, den Reichwein in den dreißiger Jahren in Tiefensee nördlich von Berlin erteilt hat. ...
Wir haben zwanzig, dreißig Jahre lang erlebt, dass alle paar Jahre eine neue Geschichte der Frankfurter Schule herauskam. Dieses linksliberale Stratum unserer Ideen und Geistesgeschichte, unserer bundesrepublikanischen Formationsgeschichte ist bis auf den Grund erforscht worden. Besenrein ausgeforscht. Auf der rechten oder konservativen Seite dagegen herrschte immer ein angenehmes Halbdunkel. Man wusste, es gibt da auch ähnlich virulente Orte. Plettenberg im Falle von Carl Schmitt. Dann Wilflingen – im Süden gibt es dieses Heidegger-Jünger-Netz, das über Ernst Klett und Klostermann, die Verleger, mit dem George-Netz verknüpft ist. Hans Grimm hatte im Norden seine „Lippoldsberger Dichtertage“. Und es gibt das Netz um Arnold Gehlen. Das war alles sehr wenig erforscht, und jetzt ändert sich das. Auch Münster und die Schule von Joachim Ritter sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Mit anderen Worten, jetzt wird die konservative Seite stärker beforscht, erweist sich auch langfristig als interessanter – weil vermutlich doch der interessantere Teil der Geistesgeschichte sich auf dieser Seite abgespielt hat. ...
Dass nun George plötzlich so interessant geworden ist, kann man aber nicht nur aus seiner Leistung als Lyriker erklären, sondern es begreift sich dann doch wirkungsgeschichtlich über den Kreis . . .
Und keiner redet mehr von Robert E. Norton und seiner George-Kreis-Monographie.
[Raulff:] Die „Zeit“ brachte kürzlich einen Artikel von Robert Norton, in dem er nachweisen wollte, dass von George nur Wege in die geistige Knechtschaft führten und damit in den Geist des Nazitums und eben keine Wege in den Widerstand oder zum Einsatz für die Unterdrückten. Aber George war so ambivalent und hat mit solchem Fleiß darauf geachtet, die Ambivalenz zu wahren, um im entscheidenden Moment sagen zu können: Das ist das Gemeinte. Man kann ihn für alles in Anspruch nehmen, für Akte des Widerstands, aber auch für Akte der Knechtung und der Selbstknechtung.
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Hofgeismar: Hans-Grimm-Weg kein Thema
http://www.hna.de/lokales/hofgeismar/hans-grimm-weg-kein-thema-2499158.html
Hessische/Niedersächsische Allgemeine
Hans-Grimm-Weg kein Thema
11.09.12
Straßenumbenennung nachzudenken
Hans-Grimm-Weg kein Thema
mit dem Thema Hans-Grimm-Weg befasst und sahen in ersten Stellungnahmen auch
noch keine Notwendigkeit, an der Straßenbenennung etwas zu ändern.
bekannt waren, sagte, dass es in der Stadt noch kein Thema war. Man müsse sich
aber sicherlich fragen, wie man mit der Angelegenheit umgehe. Wenn sich eine
gewisse Brisanz zeige und die Lage eindeutig sei, gebe es sicher noch andere
Namen.
aus Verehrung für die Person vergeben wurde. Es habe noch keine Gespräche dazu
gegeben.
sich aber in der Fraktion noch nicht damit befasst. Es gebe derzeit auch etliche
Themen, die wichtiger seien. Auch in der FWG war der Hans-Grimm-Weg noch kein
Thema, sagte ihr Vorsitzender Gerhard Niemeyer. Die nächste
Stadtverordnetensitzung sei erst im Oktober, aber er werde das Thema „mal
ansprechen“. Auch Ortsvorsteher Heinrich Herbold hat noch keine derartigen
Diskussionen oder Wünsche gehört.
Hans-Grimm-Weg dagegen genau. Er war es, der 1989 bei der Anlage einer neuen
Wohnstraße im Baugebiet am Rusteberg anregte, den Namen des alten
Hans-Grimm-Weges, der teilweise noch unbefestigt ist, auf die neue Wohnstraße zu
übernehmen.
Nationalsozialismus nichts zu tun. Der Name habe einen rein lokalen Bezug,
erklärt Haake weiter. Es gehe um die Gottsbürener Menschen, die Hans Grimm in
seinem Roman Volk ohne Raum detailliert beschrieben habe, und die dadurch quasi
berühmt geworden seien. Sie fühlten sich geschmeichelt. Unter anderem gibt Grimm
darin die Geschichte wieder, wie die Gottsbürener zu ihrem Spitznamen
Eselsfresser kamen.
Allgemeinen.
Umfrage: Geteilte Meinung zum Straßennamen
In Gottsbüren ist eine Straße nach dem deutschnationalen Schriftsteller Hans
Grimm benannt, weil er den Ort bekannt machte. Sollte sie umbenannt werden?
(37.9)% Ja
(44.4)% Nein
(17.7)% Ist mir egal
Zu Hans Grimm siehe auch
http://guttmensch.blogspot.de/2012/03/mehr-zum-thema-nostalgie.html
(z.B. Kommentare 26. Januar und 13. März 2013)
(Hans-Christian Sarrazin - Paul Fechter - Arthur Moeller van den Bruck - Hans Grimm - Will Vesper)
Heimatkalender für den Kreis Hofgeismar, 1930
Hrsg. Willi Vesper
Texte von Willi Vesper, Hans Grimm u.a.
http://www.booklooker.de/B%FCcher/Kreisausschu%DF-Hofgeismar+Heimatkalender-f%FCr-den-Kreis-Hofgeismar-1930/id/A01kGbLb01ZZ3
Hofgeismarkreis und Lob der Eugenik
AntwortenLöschenDer Verfasser des o.g. Artikels von der Hofgeismarkreis-Webseite (Harald Kersten, langjähriger SPD-Fraktionsvorsitzender einer Gemeinde in NRW, jetzt im Ruhestand) knüpft an die Legende an, im englischen Vokabular der Eugenik sei mit “race” das Menschengeschlecht insgesamt gemeint und beinhalte nicht die Idee einer Wertehierarchie verschiedener “Rassen”.
Das hört man oft, ähnlich die wie Behauptung, alles Übel käme nur daher, dass der sozialdarwinistische Begriff “survival of the fittest” im Deutschen nur falsch verstanden worden sei -als “Überleben des Stärkeren”, statt “Überleben des Fittesten/ Tüchtigsten/ Tauglichsten/ am besten an die Umwelt Angepassten”. Die Lektüre originaler Texte der Begründer der eugenischen und sozialdarwinistischen Ideologien und ihrer englisch schreibenden Anhänger führt aber zu anderen Schlüssen: Sie meinten “Rasse” durchaus auch im Sinne der Überlegenheit der “weißen”, “nordischen”, angelsächsischen” usw. “Rasse”, und die Lizenz zum Auslöschen vermeintlich “unfitter” Völker und Menschen klang mit.
Bemerkenswert auch die Vorstellung, was die Sozialdemokratie einmal für richtig oder zumindest akzeptabel befunden haben, könne heute nicht falsch sein – bis hin zu einer geradezu atemberaubenden Verharmlosung der “eugenischen” Zwangssterilisationen (ein Thema, von dem auf diesem Blog schon mehrfach die Rede war). Und woran nicht-faschistische Regierungen ebenfalls beteiligt waren, könne doch nicht faschistisch gewesen sein …
Auszug [mit einigen Anmerkungen in eckigen Klammern]:
Hofgeismarkreis und Lob der Eugenik (Fortsetzung)
AntwortenLöschenAuszug aus dem o.g. Artikel von Harald Kersten
[mit einigen Anmerkungen in eckigen Klammern]
Das Wort „Rasse“ hat im englischen Sprachgebrauch einen viel weiteren Bedeutungskreis als im deutschen; es bezeichnet Gruppen bis hin zum „Menschengeschlecht“ (human race). Auch Galton verstand darunter einfach nur eine durch Generationen sich fortpflanzende Gemeinschaft von Menschen. [Anm. Blogger: Ja – “races and bloodlines”, “Rassen und Blutlinien”. Daher kam ja die Vorstellung von “Blut als Grundlage der Volksgemeinschaft” – s. Kreuzworträtsel von 1941 auf meinem anderen Blog “Friedensforschung mit der Maus”.]
Erbliche Verbesserungen durch eine bewußte Fortpflanzungshygiene wollte er vor allem durch die Aufklärung der Bevölkerung erreichen. Er plädierte aber auch für Maßnahmen „negativer Eugenik“, so sollte die Fortpflanzung von Gewohnheitsverbrechern und Schwachsinnigen möglichst verhindert werden.
In Deutschland führte der Nationalökonom und Mediziner Alfred Ploetz (1860–1940) im Jahre 1895 den Begriff der „Rassenhygiene“ für die Eugenik ein. Neu war jedoch nur der Begriff, die Prämissen und Inhalte lagen auf Galtons Linie. In seiner Schrift Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen sprach sich Ploetz für ein wissenschaftlich angeleitetes Reproduktionsverhalten der Bevölkerung aus. Über den „Erbwert“ von Nachkommen sollten Ärzte entscheiden.
„Rassenhygiene als Wissenschaft ist die Lehre von den Bedingungen der optimalen Erhaltung und Vervollkommnung der menschlichen Rasse“, definierte Ploetz. „Als Praxis ist sie die Gesamtheit der aus dieser Lehre folgenden Maßnahmen, deren Objekt die optimale Erhaltung und Vervollkommnung der Rasse ist, und deren Subjekte sowohl Individuen als auch gesellschaftliche Gebilde einschließlich des Staates sein können.“
Im deutschen Kaiserreich und später in der Weimarer Republik gelang es Wissenschaftlern, mittels Büchern, Fachzeitschriften und eigenen Institutionen die Idee der Rassenhygiene immer fester zu etablieren. [Anm. Blogger: Soll man sie für diesen “Erfolg” bewundern? – s. Stichwort “wissenschaftlicher Rassismus”.]
Anhänger und Verfechter fanden sich in allen politischen Lagern, auch in der Sozialdemokratie. Ein Beispiel ist der Gewerkschafter und SPD-Mann Karl Valentin Müller (1896–1963), der 1927 ein Buch mit dem Titel Arbeiterbewegung und Bevölkerungsfrage veröffentlichte. Darin forderte er eine „planvolle Züchtung der sozialbiologischen Anlagen“ sowie die „rücksichtlose, wenn möglich zwangsweise Unterbindung des Nachwuchses aus dem Bevölkerungsballast, den wir allzu lange schon mit uns schleppen und der ein schlimmerer Ausbeuter der produktiven Arbeit ist als alle Industriekönige zusammengenommen“. In einem Beitrag zu Lebensraum und Geburtenregelung, der 1928 in einer Sonderausgabe der Süddeutschen Monatshefte erschien, bekräftigte er die Ansicht, daß die Ziele der Rassenhygiene mit einem wahrhaften Sozialismus vereinbar seien. Mit diesen Ansichten war er zwar in einer Minderheitenposition innerhalb seiner Partei.
Doch auf die Idee, ihn aus der SPD zu entfernen, kam damals niemand. Von 1927 an arbeitete er sogar als Referent im sächsischen Kultusministerium, das zu dieser Zeit sozialdemokratisch geführt wurde. [Anm. Blogger: Soll das ein Vorbild sein für den Umgang mit seinen geistigen Nachfolgern?]
"Galton formulierte offen seinen Glauben an eine überlegene Herrenrasse und eine Herrenklasse. … [Er] ging so weit, zu behaupten, dass bestimmte Hunderassen intelligenter seien als manche Menschenrassen.”
LöschenAus "Das Grauen des Holocaust" von Harun Yaya; ausfuehrlicher zitiert in meinem Post
“Die Iren und die Juden kommen!”
http://guttmensch.blogspot.com/2011/05/die-iren-und-die-juden-kommen-weitere.html
"Strains of blood" ist der Begriff, den Galton verwendete ("blood lines" wird auch gebraucht, aber bleiben wir bei der Formulierung in der Encyclopedia Britannica, Stichwort "eugenics").
Löschen"Der Begriff Eugenik wurde 1883 von ... Francis Galton geprägt. Dieser propagierte unter dem Einfluss von Charles Darwins Theorie der natürlichen Zuchtwahl ein System, das den tauglicheren Rassen oder Blutlinien eine bessere Chance geben würde, schnell über die weniger tauglichen die Überhand zu gewinnen. ..."
"The term eugenics was coined in 1883 by ... Francis Galton, who, influenced by Charles Darwin’s theory of natural selection, advocated a system that would allow “the more suitable races or strains of blood a better chance of prevailing speedily over the less suitable.”
S. mein Post "Eugenik, Sozialdarwinismus, Biopolitik - Begriffe"
Davon, dass Galton mit "race" die "menschliche Rasse" insgesamt gemeint haette, kann keine Rede sein. Dafuer gebrauchte er einen anderen Begriff, "human species" - und erwaehnte auch schonmal, dass er sich als Mitglied der Menschheit ("human species") fuer die Dummheit mancher "Rassen", die zur Gattung "Mensch" gehoerten, schaemen wuerde.
Auch die Verbindung seiner Eugenik-Theorie mit Antisemitismus lag Galton keineswegs fern:
Löschen“It strikes me that the Jews are specialised for a parasitical existence upon other nations” — Galton to de Candolle, 1884 (Pearson’s Life and Letters of Galton, vol.2, pg 209).
http://inbredscience.wordpress.com/euvolution/
Hofgeismarkreis und Lob der Eugenik (Fortsetzung)
AntwortenLöschenWeiterer Auszug aus dem Artikel von Kersten (s.o.)
Alfred Grotjahn (1869–1931), praktischer Arzt und erster Professor für soziale Hygiene in Deutschland an der Berliner Universität, war ein weiterer Sozialdemokrat, der für rassenhygienische Prinzipien stritt (Hygiene der menschlichen Fortpflanzung, 1926). Er betonte, „daß die sozialistischen Theoretiker sich an der jungen Wissenschaft der Eugenik zu orientieren hätten und nicht an Dogmen, die von sozialistischen Klassikern zu einer Zeit aufgestellt worden seien, als es diese Wissenschaft noch nicht gab.“ Seine Forderung, „daß die Erzeugung und Fortpflanzung von körperlich oder geistig Minderwertigen verhindert und eine solche der Rüstigen und Höherwertigen gefördert“ werden müsse, würde in der Gegenwart vermutlich einen Sturm der Entrüstung auslösen, gegen den die Sarrazin-Kampagne nur ein laues Lüftchen wäre. Grotjahn saß von 1921 bis 1924 für die SPD im Reichstag, galt als namhaftester gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partei und formulierte das Görlitzer Programm von 1922 mit. Daß ihn die SPD jemals hätte ausschließen wollen, ist nicht bekannt. [Anm. Blogger: Ein weiteres Beispiel, das sich die heutige SPD zum Vorbild nehmen sollte?]
Es ist kaum vorstellbar, daß die Existenz sozialdemokratischer Rassenhygieniker in den 1920er Jahren der heutigen SPD-Führung nicht bekannt ist. Immerhin veröffentlichte der Historiker Michael Schwartz bereits 1995 seine Studie Sozialistische Eugenik: eugenische Sozialtechnologien in Debatten und Politik der deutschen Sozialdemokratie 1890–1933, herausgegeben vom Forschungsinstitut der parteieigenen Friedrich-Ebert-Stiftung. Und in der Wochenzeitung Die Zeit erinnerte der Parteienforscher Franz Walter erst Ende August an die „sozialdemokratische Genetik“. [Anm. Blogger: Davon wissen ist doch wohl nicht dasselbe wie sich dieser Tradition verpflichtet fühlen – im Gegenteil, Anlass, sich auch mal von einem Stück fragwürdiger Tradition zu distanzieren.]
Hofgeismarkreis und Lob der Eugenik (Fortsetzung)
AntwortenLöschenWeiterer Auszug aus dem Artikel von Kersten (s.o.)
Eugenische Forderungen wurden in zahlreichen Staaten in praktische Politik umgesetzt. Ob in Kanada oder den USA, der Schweiz oder Skandinavien – rund um den Globus gab es Gesetze, auf deren Grundlage Tausende, teils Zehntausende von Menschen zwangssterilisiert wurden. Besonders nachhaltig ging Schweden das Thema an. Schon 1921 beschloß der schwedische Reichstag, an der Universität Uppsala ein „Staatliches Institut für Rassenbiologie“ einzurichten, angeregt durch niemand geringeren als Hjalmar Branting, der zwischen 1920 und 1923 schwedischer Ministerpräsident war – für die Sozialdemokraten. In Uppsala lehrte zeitweise als Gastdozent der deutsche Rassenforscher Hans F.K. Günther, in der NS-Zeit später als „Rassegünther“ bekannt.
1922 brachte die schwedische SAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) einen Gesetzentwurf zur Sterilisierung geistig Behinderter ein. Schließlich trat 1935 das erste Gesetz in Kraft, das bereits die freiwillige Sterilisierung „geistig zurückgebliebener“ Menschen bei anzunehmenden „Erbschäden“ vorsah, und Sterilisierungen ohne Einwilligung der Betroffenen, wenn sie durch zwei Ärzte befürwortet wurden. 1941 wurde mit einem deutlich erweiterten Gesetz dann die zwangsweise Unfruchtbarmachung bei „eugenischer Indikation“ eingeführt. Betroffen waren Geisteskranke, -schwache und -gestörte, psychisch Kranke und Menschen mit Mißbildungen. All diese Maßnahmen wurden unter sozialdemokratischen Regierungen beschlossen.
Mit seinen Vorwürfen gegenüber Sarrazin bewegt sich Sigmar Gabriel also auf äußerst dünnem Eis – was den Verweis auf die Zwangssterilisierten in Schweden betrifft, sind sie sogar hochgradig peinlich. [Anm. Blogger: ??? – Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Dass nämlich die schwedische Sozialdemokratie in diesem Punkt Schande auf sich geladen hat? ]
Zumindest grollt es in großen Teilen der SPD-Basis, die das Vorgehen des Parteivorstands für befremdlich halten, und auch SPD-Prominenz wie Klaus von Dohnanyi, Peer Steinbrück und Helmut Schmidt favorisiert einen eher entspannten Umgang mit dem „Fall Sarrazin“. Vielleicht hat sich ja an anderen Stellen der Partei einfach auch mehr historische Bildung versammelt als bei Säuberungskommissar Gabriel. [Anm. Blogger: In dem Sinne, dass man Eugenik/ Rassenhygiene “entspannt” sieht, weil die Sozialdemokratie ja früher schon Sympathien dafür hatte? Ein sehr fragwürdiges Lob für die drei anerkennend Genannten – lieber würde ich sie für unwissend halten als für traditionsbewusst in einem solchen Sinne. Zur historischen Bildung sollte auch gehören, dass man einen Moment nachdenkt, woher die Tradition kommt, unliebsame Personen willkürlich als “Kommissare” (des Bolschewismus) zu bezeichnen; Stichwort “Kommissarbefehl”.]
„Objekte der Gesetze waren ... "Gemischtrassige, alleinstehende Mütter (mit unstetem Lebenswandel), Arbeitslose, Zigeuner und sonstige Andersartige". Beurteilungsgrundlage der Rassenhygiene waren dabei die Schautafeln "rein schwedischer Rasse", die das Institut für Rassische Biologie in Uppsala 1922 für verbindlich erklärt hatte. ...
LöschenSchwedische Sozialdemokraten machten dabei willkommene Anleihen bei ihren deutschen Genossen. Die Internationale Gesellschaft für Rassenhygiene in Berlin hatte viele schwedische Mitarbeiter, die Universität Uppsala zahlreiche deutsche Gastreferenten....
Künftige Sozialausgaben sollten schon im Vorfeld verhindert werden. Heute schämen sich führende schwedische Sozialdemokraten stellvertretend öffentlich für ihre Parteigeschichte. Der frühere Staatsminister Ingvar Carlsson hat im Fernsehen um Entschuldigung gebeten. Die heutige Sozialministerin Margot Wallström hat angekündigt, daß eine unabhängige Expertenkommission diesen Teil der schwedischen Sozialgeschichte aufklären soll. 1976 wurde das Sterilisationsgesetz aufgehoben. !“
Aus
Zwangssterilisationen in Skandinavien: Weitverbreitete Ideologie der Eugenik
Dtsch Arztebl 1997; 94(40): A-2551 / B-2176 / C-1931
Clees, Ernstwalter
http://www.aerzteblatt.de/archiv/7893
In Finnland wurde Risto Ryti, Direktor der finnischen Zentralbank und Kandidat der kleinen „Nationalen Fortschrittspartei“, mit Unterstützung der Sozialdemokraten 1940 zum Staatspräsidenten ernannt. Er blieb bis 1944 im Amt.
LöschenRyti verehrte Hitler und bezeichnete ihn als „Genie“.
Was bedeutet das jetzt nach Kerstens Logik, wonach alles, was die Sozialdemokratie (in Deutschland oder anderswo in Europa) jemals mitgetragen hat, auch heute noch als sozialdemokratische Position akzeptabel sein muss?
Quellen (s. jeweils Stichwort „Ryti“):
Wikipedia;
http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_Finnland_1940
H. G. Hodges;
http://archive.org/stream/experimentwithde00zurc/experimentwithde00zurc_djvu.txt
Justus D. Doenecke;
http://books.google.com/books?id=XYFTZYJTyGAC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false
Merkzettel
AntwortenLöschenNeu gelernt habe ich hier u.a. den Begriff "Querfront".
Koennte auch auf Phaenomene passen, wie sie in dem Post "seltsame Bettgefaehrten" beschrieben sind.
Niekischs "Querfront"-Ideologie ist ein Vorbild fuer eine Fraktion der militanten "Neuen Rechten", besonders in Russland und anderen Laendern aus der Sphaere der ehemaligen Sowjetunion.
AntwortenLöschenAus
The Fourth Political Theory
Ernst Niekisch: Widerstand!
Posted on October 13, 2011by AnonAF
(Link siehe Post, Einschub zu Nikisch)
"Niekisch was the ideological leader of ‘National Bolshevism’ in the Weimar Republic. His attempted synthesis of extreme nationalism – directed against the Versailles Treaty, French influences and zionist ‘domination’ – with revolutionary socialism – had some impact on the Nazi Left, including the young Goebbels, Gregor Strasser, Ernst Rohm and also on non – Nazi nationalists like the writer Ernst Junger.
However, no rapprochement was possible with the German Communist Party, which was too ideologically rigid and bound by Marxist – Leninist ‘internationalism’ to attract Niekisch and his followers."
Hat Hitler die Ideen von Sarrazins Vordenkern nur falsch verstanden?
AntwortenLöschenOn a visit to a factory (so the story goes) Ley asked the manager about the political views of the factory workers.
AntwortenLöschenLey: Tell me, have you still got any Social Democrats with you?’
Manager: ‘Oh yes, about half the workforce.’
Ley: ‘How dreadful! But surely no Commies?’
Manager: ‘Oh yes, about a third of the men.’
Ley: Really! What about Democrats etc.?’
Manager: ‘They make up the remaining 20 per cent.’
Ley: ‘Good gracious! Haven’t you got any Nazis at all?’
Manager: ‘Oh yes, of course, all of them are Nazis!’
UNDERGROUND HUMOUR IN NAZI GERMANY 1933–1945
F.K.M.Hillenbrand
http://pdf.znate.ru/pdfs/29/28969-1.pdf
Hein, a layabout in Hamburg, used to belong to the Rotfront before joining the SA in 1933.
LöschenWhen he meets his friend Tetje the latter comments, ‘Well, well! How is it that you already have two stars on your uniform when you’ve only been in the SA a month?’
Hein: ‘Do you think it was for nothing that I served in the Rotfront for the past two years?’
Aus
AntwortenLöschenHitlerjugend: "Du bist nichts - Dein Volk ist alles"
shz.de
"Du bist nichts. Dein Volk ist alles." Der programmatische Leitspruch der NS-Volksgemeinschaft zierte die Heime der HJ: Jeder Junge und jedes Mädchen begegnete diesem "Erziehungsideal". Ein richtiger Junge hatte "Soldat und Träger einer Weltanschauung des Kampfes und Forderns zu sein", wie es im Dezember 1936 im HJ-Organ Nordmark-Jugend hieß. Er kannte unbedingten Gehorsam, war abgehärtet, sportlich und diszipliniert sowie wettkampferfahren. Ein Jungenbild, das unmittelbar ins Soldatentum führte! Das Mädchenideal war zunächst die Mutter, die Rolle der Gebärenden; Ziel jeder "Trägerin eines kommenden Geschlechts" sollte sein, "künftig gesunde Kinder zu haben", wie es 1934 in der Ausgabe der Nordmark-Jugend hieß.
http://www.shz.de/artikel/artikel/du-bist-nichts-dein-volk-ist-alles.html
Vom Hofgeismarkreis in die Hitlerjugend?
Löschen„Planmäßige Ausmerzung" und “Dauerasylierung”
AntwortenLöschenAlfred Grotjahn – aus Wikipedia
Alfred Grotjahn (* ..1869 in Schladen; † ...1931 in Berlin) war ein deutscher Mediziner, wie auch sein Großvater Heinrich Grotjahn, Mitinitiator der Grotjahn-Stiftung zu Schladen. Er gilt als Begründer und erster Ordinarius der Sozialen Hygiene in Deutschland. ...
1901 bis 1902 besuchte er das staatswissenschaftliche Seminar von Gustav Schmoller. 1905 war er Initiator und in der Folge Vorstandsmitglied des Vereins für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik.
Im Jahr 1912 wurde Grotjahn in Deutschland als erster im Fach Soziale Hygiene habilitiert. Er war dann Privatdozent an der Berliner Charité. 1915 gab er seine eigene Praxis auf und übernahm die Leitung der Abteilung Sozialhygiene des städtischen Medizinalamts Berlin. Ab 1919 war Grotjahn ärztlicher Leiter des Berliner Heimstättenamts.
1920 wurde er ordentlicher Professor für Sozialhygiene an der Universität Berlin. Für die Amtszeit 1927/28 wurde er zum Dekan der Charité ernannt.
Grotjahn war Mitglied der SPD und von 1921 bis 1924 Mitglied des Reichstags. Er war auch Autor des gesundheitspolitischen Abschnitts des Görlitzer Programms der SPD von 1922.Alfred Grotjahn war verheiratet mit Charlotte (geb. Hartz). Gemeinsam hatten sie die Kinder Gertrud, Martin und Peter. Neben Sohn Martin führten auch die Enkeltöchter Eva, Marianne und Michael die Ärztetradition der Familie fort. ...
1902 entwickelte er seine Theorie der Sozialen Hygiene, die er 10 Jahre darauf in seinem wohl wichtigsten Werk Soziale Pathologie zusammenfasste. Seiner Theorie zufolge hat das soziale Umfeld des Patienten Einfluss auf den Verlauf von Krankheiten wie auch auf deren Heilung. ...
Anfangs von Eugenikern wegen seiner Theorie angegriffen, bewegte sich Grotjahn selbst immer weiter in die eugenische Richtung. Grotjahn war Mitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene. In der 1926 erschienenen Hygiene der menschlichen Fortpflanzung trat er für die „planmäßige Ausmerzung durch Verwahrung und Zwangsunfruchtbarmachung“ erblich Belasteter ein. Mit seinen Forderungen war er einer der radikalsten Eugeniker der Weimarer Republik. So forderte er als Mittel zur Rationalisierung der menschlichen Fortpflanzung in „quantitativer und qualitativer Hinsicht“ eine „Reinigung der menschlichen Gesellschaft von Krankem, hässlichen und Minderwertigen“, deren Anteil an der Bevölkerung er auf ein Drittel schätzte. Er sprach sich ferner für eine Zwangssterilisierung von Schwachsinnigen, Epileptikern, Alkoholikern und Krüppeln und für eine „Dauerasylierung“ von etwa 1 % der Bevölkerung aus. ...
In seiner 1926 erschienenen Schrift Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung. Versuch einer praktischen Eugenik. fordert Grotjahn den Übergang von einer rein wissenschaftlichen Eugenik hin zu deren praktischen Anwendung. Deren Verwirklichung beschrieb er anhand verschiedener Bevölkerungsgruppen beispielsweise so:
Löschen„Trotzdem die gesamte Bevölkerung mit Schwächlingen oder Asthenikern, wie sie die neuere Konstitutionspathologie nennt, durchsetzt ist, ist es nicht ganz leicht, sie von der durchschnittlichen Bevölkerung abzugrenzen. Einigermaßen sicher könnte das nur durch eine anthropometrische Musterung der gesamten Bevölkerung geschehen. [...] Alles in allem wird sich also dieser durch die Lungentuberkulose stigmatisierte Kreis der Astheniker auf eine Million Volksgenossen erstrecken, von denen zur Zeit noch die meisten heiraten und sich fortpflanzen. Diese Million Menschen braucht es nicht zu geben. Sie ist nicht nur ein Ballast in wirtschaftlicher Hinsicht, was zu ertragen wäre, sondern eine Quelle sich durch den Erbgang fortsetzender Minderwertigkeit. Soviel Mitleid wir auch mit den Erkrankten haben und so sehr wir ihre Leiden durch Fürsorge, Pflege und spezifische Behandlung aufzuhalten suchen müssen: als Gegenleistung können wir verlangen, daß sie auf Familiengründung und Fortpflanzung verzichten […]. Den Gegenpol zu den Asthenikern, körperlich Minderwertigen und Schwächlingen bilden die muskelstarken, breitschulterigen, organgesunden Starken und Rüstigen, deren überdurchschnittliche Fortpflanzung nicht nur vom fortpflanzungshygienischen Standpunkte aus wünschenswert ist. Dieser Personenkreis läßt sich zur Zeit noch nicht in einer Weise abgrenzen, die besondere Maßnahmen zur Hebung ihrer Bevölkerung ermöglichte. [...] [Zumindest im Bereich des Beamtentums] sollte dafür gesorgt werden, daß das durch ärztliche Untersuchung als besonders rüstig ausgesiebte Menschenmaterial frühzeitig zur Ehe mit gleichgearteten Partnern gelangt und durch eine fühlbare Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung zu Kinderreichtum angereizt würde“.
“Verdienste und Lebensleistung besser einschätzen":
LöschenBeschönigung durch Weglassen am Ehrengrab von Alfred Grotjahn
Berliner Morgenpost
13 Ehrengräber erhalten Informationstafeln
Ralf Drescher 16.05.2013
Baumschulenweg. Wer waren Franz Künstler und Georg Pniower? Der erste war Vorsitzender der Berliner SPD, der zweite Gartenarchitekt. Beide ruhen auf dem Friedhof Baumschulenweg in einem Ehrengrab des Landes Berlin.
13 gibt es im Bezirk, verteilt auf mehrere Friedhöfe. Jetzt werden sie mit Informationstafeln ausgestattet. Die ersten vier sind eingeweiht. "Friedhofsbesucher erfahren so Wissenswertes aus der Biografie der Geehrten und können Verdienste und Lebensleistung besser einschätzen", sagte Bürgermeister Oliver Igel (SPD) zu feierlichen Übergabe, zu der Familienangehörige und frühere Kollegen gekommen waren.
Die Idee stammt vom Heimatverein Köpenick. "Friedhofsbesucher stehen vor den Gräbern mit den Plaketten, die sie als Ehrengrab ausweisen. Sie kennen aber die Beigesetzten nicht und fragen sich, was sie für die Allgemeinheit getan haben. Die Kurzbiografien schließen diese Informationslücke", sagt Stefan Förster, Vorsitzender des Vereins.
Franz Künstler (1888-1942) war bereits mit 18 Jahren SPD-Mitglied. … Nach dem SPD-Verbot 1933 wurde er verhaftet und schwer misshandelt. 1934 kam er frei. Trotz schwerer Krankheit musste er im Krieg für eine Heeresdienststelle als Lastenträger schuften. Infolge dessen starb er. Die Beisetzung Künstlers 1942 wurde trotz Überwachung durch die Gestapo zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen das NS-Regime.
Alfred Grotjahn (1869-1931), der wenige Schritte von Künstler entfernt liegt, war Mediziner und einer der Begründer der sozialen Hygiene in Deutschland. In Veröffentlichungen befasste er sich unter anderem mit Alkoholismus, Ernährung, Sozialversicherung und Krankenhauswesen. Von 1921 bis 1924 saß er für die SPD im Reichstag. Zur Einweihung der Tafel waren seine Enkelinnen Eva Schmidt und Suse Huth und zwei Urenkel gekommen.
Georg Béla Pniower (1896-1960), Gärtner, Landschaftsarchitekt und Professor für Garten- und Landeskultur, arbeitete Anfang der 20er Jahre bei der Baumschule Späth als leitender Gartenarchitekt. Wegen seiner jüdischen Abstammung erhielt er 1935 Berufsverbot. 1944 wurde er verhaftet und musste Zwangsarbeit leisten. …
Die Politikerin und Dichterin Clara Bohm-Schuch (1879-1936) engagierte sich seit 1904 in der Gewerkschafts- und Frauenbewegung. …
Alle vier Ehrengräber befinden sich auf dem neuen Friedhofsteil an der Kiefholzstraße 221-228, gleich neben dem Krematorium.
In den nächsten Monaten sind weitere Tafeln geplant, unter anderem für den Köpenicker Bürgermeister Georg Langerhans, Kunstschmied Fritz Kühn und Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich. Die Kosten - rund 250 Euro pro Informationstafel - trägt der Bezirk.
http://www.berliner-woche.de/nachrichten/bezirk-treptow-koepenick/baumschulenweg/artikel/18092-13-ehrengraeber-erhalten-informationstafeln/
"Tat-Kreis" mit Giselher Wirsing
AntwortenLöschenAus dem Angebot von
Antikbuch24
Horneffer, Ernst / Diederichs, Eugen / Zehrer, Hans DIE TAT.
Im September 1929 übernahm Hans Zehrer die Leitung des Blattes und machte es zusammen mit Ernst Wilhelm Eschmann, Ferdinand Fried, Giselher Wirsing zum einflussreichen Organ des jungkonservativen "Tat-Kreises". Die Ziele des Tat-Kreises sind in dieser Zeit ein eigentümliches Konglomerat aus linken und rechten Positionen: Kapitalismuskritik verbindet sich mit dem Ruf nach nationaler Autarkie und der Forderung nach einer neuen Elite. ... Nach der Machtergreifung Hitlers wurde Hans Zehrer im Oktober 1933 als Herausgeber abgesetzt. Der Anpassungskurs des mittlerweile der SS beigetretenen Giselher Wirsing ließ das Blatt zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Im Jahre 1939 erhielt es den neuen Titel "Das XX. Jahrhundert", wurde jedoch unter den Bedingungen des Krieges 1944 endgültig eingestellt. ...
[SW: Zeitung, Periodikum, Kulturgeschichte, Deutschland, Politische Ideengeschichte, Philosphie]
Lob auf Thilo Sarrazin
AntwortenLöschenund auf Giselher Wirsing mit seiner Idee von "Zwischeneuropa"
mal wieder auf der Hofgeismarkreis-nahen Webseite
http://euro-synergies.hautetfort.com/archives/tag/autriche/index-1.html
Mehr zu/ von Giselher Wirsing
LöschenAus
GHIBELLINUM-BÜCHEREI
EUROPA ALS LEBENSKAMPFGEMEINSCHAFT
EUROPÄISCHE VORLESUNGEN AUF EINEM STUDENTEN- UND FRONTKÄMPFERTREFFEN DRESDEN 1942
URSPRÜNGLICHER HERAUSGEBER:
DER AKADEMISCHE KULTURAUSTAUSCH
BERLIN W 35, FRIEDRICH-WILHELM-STRASSE 22
NEU AUFGELEGT DURCH
BERNHARD SCHAUB
GHIBELLINUM-VERLAG DORNACH/SCHWEIZ 2012
www.europaeische-aktion.org
"... Der Herausgeber möchte betonen, dass wir auch England,
das sein Weltreich schon lange eingebüßt hat, selbstverständlich als einen Teil Europas sehen, und dass das zukünftige Europa mit dem vom Bolschewismus befreiten Russland enge Zusammenarbeit auf allen Gebieten anstreben wird. Um die vorliegenden Darstellungen zu vervollständigen und um gleichzeitig die Gesinnung eines untadeligen Engländers zu dokumentieren, werden wir im Ghibellinum-Verlag auch die Schrift von Generalmajor Fuller „Das Problem Europa“ herausgeben.
Betrachten wir also die folgenden Beiträge auch durchaus als Zeugnisse ihrer Zeit, so möge doch das unvergängliche Feuer, das in ihnen brennt, auf uns überspringen. ... Hinzugefügt haben wir den einleitenden Aufsatz von Dr. Giselher Wirsing, der schon zu Weihnachten 1941 erschienen war. ..."
DR. GISELHER WIRSING
Der Kontinent im Weltkampf
1941
"... Als der Führer im Juni 1941 zu den Waffen rief, um den Vernichtungsschlag gegen die Sowjets einzuleiten, fanden seine Worte ein Echo im gesamten europäischen Erdteil, das noch ein Jahr vordem kaum denkbar gewesen wäre. Mit dem deutschen Millionenheer traten Finnen und Rumänen, Italiener und Ungarn, Slowaken und Kroaten alsbald zum gemeinsamen Kampfe an. Freiwillige aus Spanien, Dänemark, Belgien, Holland, Frankreich und aus anderen europäischen Ländern folgten. ...
Die Feldzüge des Jahres 1940 und noch der Balkanfeldzug 1941 haben Wunden geschlagen, gewiss. Aber was hätten sie bedeutet, gemessen an der Möglichkeit, dass ganz Europa das Schlachtfeld der hereinströmenden schwermotorisierten bolschewistischen Horden geworden wäre? Dort, wo sie konnten, haben die Bolschewisten in ihrem eigenen Machtbereich keine Stadt und kein Kulturdenkmal geschont. ...
Die Offensivgefahr: Brand, Mord und Vernichtung, die Europa vom Osten her bedroht hat,
besteht nicht mehr. Die deutschen und die verbündeten Armeen haben den Umkreis von Moskau und das Gebiet des Don erreicht und damit in einer Anstrengung ohnegleichen den Kernraum der bolschewistischen Rüstungskraft in ihre Gewalt gebracht. ...
Niemals werden die europäischen Völker vergessen können, dass England, anstatt im Spätsommer 1940 die ihm gebotene Möglichkeit eines ehrenvollen Verhandlungsfriedens zu ergreifen,
Europa lieber dem bolschewistischen Nihilismus ausgeliefert hätte. ...
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben im Jahre 1941 das Stadium ihrer passiven Parteinahme an dem Ringen in Europa verlassen und ihren aktiven Anspruch erhoben. Sie haben hierbei vor aller Welt erklärt , England sei in der künftigen angelsächsischen Kombination nur noch der Juniorpartner. Sie haben keinen Zweifel darüber gelassen, dass die Vereinigten Staaten selbst als Seniorpartner das Erbe der früheren britischen Weltherrschaft anzutreten beabsichtigen. So ist denn in den Staaten erklärt worden, dies sei jetzt das amerikanische Jahrhundert – the American Century. ...
Die europäische Völkergemeinschaft hat im Krieg gegen die Sowjets ihre Feuertaufe empfangen. ... In dem Schicksalskampf der Kontinente hat damit Europa jene unerschütterbare Ausgangsposition erreicht, die für die künftige Weltentwicklung von entscheidendster Bedeutung sein wird. ..."
http://www.europaeische-aktion.org/Dokumente/de/Schulung/Schrift---Europa-als-Lebenskampf-Gemeinschaft.pdf
Aus einem Interview mit Tilman Fichter
AntwortenLöschen(in einem anderen Zusammenhang - Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin, 1969)
25.10.2005
"Wir haben das nicht ernst genommen"
1969 verübte eine linksmilitante Gruppe einen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin. Eine Einzeltat? Oder gab es bei den 68ern "linken Antisemitismus"? Und warum wird alles so schleppend aufgearbeitet? Ein Gespräch mit Tilman Fichter, Bruder des Attentäters und damals SDS-Kader
INTERVIEW PHILIPP GESSLER
UND STEFAN REINECKE
taz: Herr Fichter, Sie haben Ihrem Bruder Albert, der 1969 eine Bombe ins Jüdische Ge-meindezentrum in Berlin gelegt hatte, seinerzeit zur Flucht verholfen …
Tilman Fichter: … ja, zweimal, weil er nicht begriffen hatte, dass er verfolgt wurde.
Warum haben Sie ihm geholfen?
Weil er in einer Wohngemeinschaft mit Dieter Kunzelmann lebte und ich Kunzelmann für einen schwierigen und unerfreulichen Zeitgenossen hielt, der keinen positiven Einfluss auf meinen Bruder hatte. [..]
War die Bombe im Jüdischen Gemeindezentrum eine Attrappe? Es war doch eher eine Bom-be, die nicht explodiert ist?
Das nenne ich eine Attrappe: Sie konnte nicht explodieren.
Aber nur wegen technischen Versagens.
Alle Bomben von Urbach hatten diesen technischen Defekt. Es waren Bomben, die nicht ex-plodieren konnten. Eine Attrappe ist ja auch später im Eisschrank von Kunzelmann gefunden worden. Der Verfassungsschutz hat unverantwortlicher Weise versucht, diese Dinger in die Studentenbewegung hineinzuschmuggeln. Aber immerhin waren die Führungsoffiziere von Urbach sich darüber im Klaren, dass sie keine scharfen Bomben einschleusen wollten - anders als ein paar Monate später, als über Peter Urbach die erste Generation der RAF mit scharfen Waffen ausgestattet wurde.
Ist das nachgewiesen?
Ja. Aber bis heute ist nicht aufgedeckt, wer hinter dem Versuch stand, die Studentenbewe-gung zu bewaffnen. Peter Urbach lebt ja heute in den USA, abgeschirmt und unter falschem Namen. Der könnte es zumindest partiell aufklären. Aber der Versuch ist nie gemacht worden. [..]
http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/10/25/a0178
"Biologisch vielfach minderqualifizert"
AntwortenLöschen... Arbeit wird also als völkisch-rassische Pflichterfüllung definiert, die im übrigen (aber das nur nebenbei) kein Recht auf Arbeit impliziert[22] - nicht einmal für den „arischen Volksgenossen“, der in Zeiten vorübergehender Erwerbslosigkeit oder Kurzarbeit, die es namentlich in der Konsumgüterindustrie auch nach 1936 immer wieder gab, komplikationslos ‚freigesetzt‘[23] werden konnte. Arbeit „als Pflichterfüllung für die Volksgemeinschaft“ hieß vor allem, daß nicht mehr der Einzelne zählte, sondern jeder nur noch als Glied des „Volkskörpers“ etwas wert war. Der Begriff „Arbeit“, und übrigens ebenso der der „Ehre“ oder „Arbeitsehre“, war rassistisch aufgeladen. Der nationalsozialistische Rassismus wiederum zielte nach außen, aber auch auf die Binnenverhältnisse, auf die Stellung innerhalb der „deutsch-arischen Herrenrasse“.
Zum Rassismus nach innen: Nur wer die erwartete Arbeitsleistung brachte, galt als vollwertig, durfte sich als Glied der „deutsch-arischen Volksgemeinschaft“ wähnen. Wer über die von „erbgesunden“ deutschen „Ariern“ erwartete Leistungskraft nicht verfügte, galt schnell als „minderleistungsfähig“ – so der einschlägige Terminus. Und dies konnte in einer biologistischen Gesellschaft wie der des „Dritten Reiches“ schnell zur physischen Bedrohung werden, mindestens Zwangssterilisierung einbeschlossen. Dem Arbeitswissenschaftlichen
Institut der Deutschen Arbeitsfront, das Amt der DAF, das langfristige Strategien und handlungsleitende Konzepte für die Führungsriege der Arbeitsfront um Robert Ley entwickelte, galt als „allgemeine Regel, daß der Nichtgelernte, insbesondere der Ungelernte, biologisch vielfach minderqualifiziert ist.“[24] ...
aus
Vom „Geist der Volksgemeinschaft durchpulst“
von Rüdiger Hachtmann
Vom „Geist der Volksgemeinschaft durchpulst“
von Rüdiger Hachtmann
Aus
AntwortenLöschenDie Hilfsschule im Nationalsozialismus
von Kirsten Knaack
1.2.1. Adolf Hitler: „Mein Kampf“
... Vorbedingung allen menschlichen Fortschritts sei daher der „Siegeszug der besten Rasse“ (ebd., S. 317)[28]. Um den „Schutz des Menschen und seiner Kultur“ (ebd., S. 327) zu gewährleisten, bedürfe es der „Pflichterfüllung; das heißt, nicht sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit dienen“ (ebd.), was nichts anderes heißt, als dass das Wohl der ‚Volksgemeinschaft‘ vor dem Wohle des einzelnen gehe. Bei Nichterfüllung dieser ‚Pflicht‘ drohe ebenfalls der Untergang, und mit pseudoreligiöser Inbrunst behauptete Hitler: „Sowie erst der Egoismus zum Regenten eines Volkes wird, lösen sich die Bande der Ordnung, und ein Jagen nach dem eigenen Glück stürzen die Menschen aus dem Himmel erst recht in die Hölle.“ (ebd., S. 328)
Hitler gelangte schließlich zu seinem Hauptfeindbild, dem Juden, dem „(...) Parasit, im Körper anderer Völker“ (ebd., S. 334). Es bestünde die Gefahr, dass „der Jude“ sich in eine andere „Rasse“ einschleiche, um „Nährboden für seine Rasse“ zu finden (ebd.). Auf S. 335 betonte er noch einmal, dass das „Judentum ein „Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten und niemals eine Religion“ gewesen sei.
Eine große Gefahr sah er im Marxismus und dessen Sicht der Gleichheit der Menschen: „Durch die kategorische Ablehnung der Persönlichkeit und damit der Nation und ihres rassischen Inhalts zerstört sie [die marxistische Weltanschauung; Anm. d. Verf.] die elementaren Grundlagen der gesamten menschlichen Kultur, die gerade von diesen Faktoren abhängig ist. (...) Mit der Zertrümmerung der Persönlichkeit und der Rasse fällt das wesentliche Hindernis für die Herrschaft des Minderwertigen- dieser aber ist der Jude.“ (ebd., S. 351) Dabei sei „der Jude“ gewillt, den Marxismus an die Macht zu bringen, um die „Völker diktatorisch und mit brutaler Faust zu unterjochen und zu regieren.“ [sic] (ebd., S. 357) Desweiteren seien es hauptsächlich die ‚Minderwertigen‘, die dem Marxismus anhingen: „Gerade im wirtschaftlichen und politischen Wahnwitz liegt der Sinn dieser Lehre. Denn durch ihn werden alle wahrhaft Intelligenten abgehalten, sich in ihren Dienst zu stellen, während die minder geistig Tätigen und wirtschaftlicher schlecht Gebildeten mit fliegenden Fahnen ihr zueilen.“ (ebd., S. 351)
Ebenso gab er „Juden“ die Schuld, die „Blutschranken“ der Arier“ einzureißen, indem sie „Neger“ nach Deutschland gebracht hätten, „immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selber zu ihren Herren aufzusteigen.“ (ebd., S. 357)
http://www.hilfsschule-im-nationalsozialismus.de/seite-14.html
Der Doppelmord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am Abend des 15. Januar 1919 in Berlin zählt zu den folgenreichsten Ereignissen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Die Verantwortlichen für das Verbrechen wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Noch im April 1962 konnte der eigentliche Drahtzieher, Hauptmann Waldemar Pabst, sich in einem Spiegel-Interview damit brüsten, dass er die beiden Kommunistenführer habe »richten lassen«.
AntwortenLöschenIn der frühen Bundesrepublik, in der der Antikommunismus Staatsdoktrin war und ehemalige Nazirichter Recht sprachen, musste Pabst nicht befürchten, jemals juristisch belangt zu werden. Hätte er ausgepackt, wäre überdies unweigerlich die Rolle der SPD-Führung, insbesondere ihres Volksbeauftragten für Heer und Marine, Gustav Noske, bei dem Verbrechen zur Sprache gekommen. Daran konnte die SPD in den sechziger Jahren, also zu einem Zeitpunkt, als sie sich anschickte, die langjährige Regierung der CDU abzulösen, kein Interesse haben. ...
Noch im Juni 1969, nur wenige Monate vor seinem Tod, äußerte Pabst in einem Brief: »Als Kavalier habe ich das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, daß ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit. Die Saukerle von Spiegel, Stern hätten gerne herausbekommen, wer alles hinter unserer Aktion gestanden hat. Wenn es nicht möglich ist, an der Wahrheit vorbeizukommen, und mir der Papierkragen platzt, werde ich die Wahrheit sagen, was ich auch im Interesse der SPD gern vermeiden möchte.« ...
Klaus Gietinger übernahm es, ihr [Doris Kachulles] Werk fortzusetzen und zu einem Abschluss zu bringen. Er hat nicht nur den umfangreichen Nachlass von Pabst, darunter Fragmente seiner Memoiren im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, ausgewertet, sondern ist in zahlreichen weiteren Archiven in Deutschland, Österreich und der Schweiz den Spuren dieses Mannes nachgegangen. Auf diese Weise gelingt es ihm, nicht nur die bislang völlig unbekannten Phasen dieser Biografie auszuleuchten, sondern auch die Netzwerke zu erschließen, die der umtriebige Generalstabsoffizier und Waffenlobbyist im Laufe seines langen Lebens zu knüpfen verstand.
Aus
Politisches Buch:
Die Noske-Pabst-Connection
90 Jahre nach dem Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Klaus Gietinger enthüllt die Zusammenarbeit der SPD-Führung mit den Tätern
Von Volker Ullrich
15. Januar 2009
http://www.zeit.de/2009/04/P-Gietinger
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