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Montag, 25. April 2016

Die "Ziegenficker"-Kontroverse

In der Folge von Böhmermanns "Schmähkritik" an dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zeigte sich (unabhängig davon davon, dass Erdogan echte Kritik reichlich verdient hat):
Es ist salonfähig geworden, Muslime als "Ziegenficker" zu bezeichnen.

Der holländische Rechtspopulist und Satiriker Theo van Gogh bezeichnete Moslems häufiger als geitenneukers (deutsch: Ziegenficker).
https://de.wikipedia.org/wiki/Theo_van_Gogh_(Regisseur)
Van Gogh wurde von einem islamistischen Fundamentalisten ermordet. Macht seine Ermordung nun die Beschimpfung von Muslimen zum Nonplusultra der Meinungsfreiheit, zur Heldentat?
Tatsächlich wurde zu Ehren von van Gogh ein "Mahnmal fuer die Meinungsfreiheit" errichtet.


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"Satire darf nicht alles"
Nuhr verteidigt Ermittlungen gegen Böhmermann
21.04.2016, 11:37 Uhr | dpa

Eindeutige Positionierung: Der Kabarettist Dieter Nuhr hat sich auf die Seite Angela Merkels gestellt und die Ermittlungen gegen Jan Böhmermann wegen eines Schmähgedichts auf den türkischen Präsidenten verteidigt. ...

Der Begriff Ziegenficker, der im Gedicht auftaucht, sei rassistisch. Er gehe davon aus, dass der Moderator mit der Argumentation juristisch durchkomme, "auf der Metaebene der Metaebene der Kunst" tätig gewesen zu sein.
"Dann werden vielleicht bald auch die Judenhasser, Holocaustleugner und Hassprediger Gedichte schreiben und behaupten, das Ganze sei ja nur Satire."

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Aus
ZEIT ONLINE
22. April 2016


"Hass im Netz"
Hasskommentare sind der Alltag im Netz. Das kann sich ändern, sagt Autorin Ingrid Brodnig. Indem wir vor dem Kommentieren durchatmen. Und durch strengere Gesetze.

Brodnig: Das Problem ist, dass die digitale Debatte ein Zerrspiegel ist. Gewisse Meinungen, obwohl sie eher eine Randmeinung sind, sind viel stärker sichtbar als andere. Mir war zum Beispiel lange nicht bewusst, wie erfolgreich die pure Wiederholung einer Lüge ist. Wie sehr ich mit dem ständigen Wiederholen von Halbwahrheiten bei Menschen den Eindruck erwecken kann, dass doch etwas dran sein muss. Ein gutes Beispiel dafür gibt der Mythos von den vergewaltigenden Muslimen in Schweden ab, den Internetseiten wie Politically Incorrect damit belegen wollen, dass die Vergewaltigungsrate seit 2006 sprunghaft um mehr als 200 Prozent angestiegen ist. Das ist ein Fakt, nur wird der irreführend interpretiert. Die Zunahme an registrierten Vergewaltigungen hängt mit einer Gesetzesreform zusammen. In Schweden gibt es seit 2006 ein sehr viel strengeres Verständnis davon, wann jemand wegen Vergewaltigung schuldig gesprochen werden kann als zuvor. Außerdem werden Täter in Schweden nicht nach ihrer Herkunft und Religion registriert. Islamfeindliche Blogs behaupten aber einfach, Muslime seien schuld ....
http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-04/brodnig-hass-im-netz

Sonntag, 10. April 2016

"Immerhin besser, als wenn sie erstickt wären"

Mit Freude über die Rettung einer Gruppe von Flüchtlingen, die in Leicestershire, etwa 180 Kilometer nordwestlich von London, eingeschlossen in einem Lastwagen fast erstickt wären, taten sich viele Leser-Kommentatoren auf ZEIT ONLINE schwer. Oft stand die Kritik an den Lastwagen-Insassen ganz im Vordergrund, und manche Kommentare ließen erahnen, dass der Schreiber meinte, Ersticken wäre ein verdientes Schicksal gewesen.

Aus dem Artikel:
Großbritannien: SMS bewahrt 15 Menschen vor dem Ersticken
Eine Gruppe von Flüchtlingen ist in einem Lkw eingesperrt. Der Sauerstoff wird knapp. Ein kleiner Junge aus Afghanistan greift zum Handy und rettet 15 Leben.
9. April 2016


Die SMS eines kleinen Jungen hat eine dramatische Suchaktion in London ausgelöst und 15 Flüchtlingen das Leben gerettet. Sie waren in einem fahrenden Lastwagen eingeschlossen und drohten zu ersticken. Der Absender der Nachricht war Ahmed, sieben Jahre alt, aus Afghanistan. …
Die Botschaft erreichte Liz Clegg, die als Freiwillige für die Hilfsorganisation Help Refugees in Nordfrankreich arbeitet. …
Die SMS war in gebrochenem Englisch geschrieben: "I ned halp darivar no stap car no oksijan in the car no signal iam in the cantenar. Iam no jokan valla
". Clegg verstand sofort: "Ich brauche Hilfe. Der Fahrer hält nicht an. Kein Sauerstoff im Wagen. Kein Signal. Ich bin in einem Container. Ich mache keine Witze. Ich schwöre bei Gott." …
Im März hatten sie und andere Freiwillige im Flüchtlingslager im französischen Calais Hunderte einfache Mobiltelefone an Kinder verteilt, die in dem armseligen Camp lebten, das "der Dschungel" genannt wird. Für Notfälle hatten sie eine Nummer eingespeichert. …
Als [Polizisten] … den Wagen aufbrachen, schnappten die Migranten nach Sauerstoff. …
Die Polizei von Leicestershire teilte mit, 14 Migranten seien unter dem Verdacht der illegalen Einreise nach Großbritannien festgenommen worden. Ahmed sei in eine Fürsorgeeinrichtung gebracht worden.

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Aus einem der moderaten Kommentare, die - im Unterschied zu vielen anderen - die Rettung an sich ausdrücklich als positiv würdigen:
"... Immerhin besser, als wenn sie erstickt wären.
Insofern ist das eine gute Nachricht.
Sie hätten sich die Sache allerdings gleich sparen können, wenn sie normal spätestens im ersten, europäischen Land ihren Asylantrag gestellt hätten."

 

Aus eigenen Kommentaren (BloggerMagga):   
#45.1  —  10.04.2014   
"Sie hätten sich die Sache allerdings gleich sparen können, wenn sie normal spätestens im ersten, europäischen Land ihren Asylantrag gestellt hätten."

Vielleicht haben sie das ja. Aber die Chancen für Flüchtlinge aus Afghanistan sind nicht gut - wohl in keinem der Länder, die an dem US-geführten Militäreinsatz beteiligt sind; auch nicht Deutschland.

Siehe ZEIT ONLINE, 28.10.2015:
Fünf vor acht / Abschiebung
Ausgerechnet Afghanistan
Eine Kolumne von Carsten Luther

... Neun Monate nach dem Abzug westlicher Kampftruppen und der Verlagerung des Einsatzes auf Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte erlebt das Land einen Exodus, der alle Gesellschaftsschichten umfasst. Vor allem die Jungen sehen keine Perspektive mehr. ... Viele verkaufen alles, was sie haben; der Weg nach Europa ist teuer.
Die bisherige Praxis gegenüber Afghanen in Deutschland kam faktisch einem Abschiebestopp gleich. ... Jetzt aber will die Bundesregierung Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, möglichst rasch abschieben. ...
Ob die westlichen Soldaten tatsächlich substanziell zur Stabilisierung beitragen können, wenn sie über 2016 hinaus bleiben, ist eine andere Frage – ihre bisherige Bilanz lässt nicht darauf hoffen. Aber eines wird durch die militärische Einschätzung deutlich: Ein sicheres Herkunftsland ist Afghanistan beim besten Willen nicht.
http://www.zeit.de/politi...
#45.2  —  10.04.2016       

Noch zum Thema Abschiebung von Asylbewerbern aus Afghanistan - siehe zum Beispiel:

Kanzleramt macht Druck
Afghanen sollen abgeschoben werden
Die Bundesregierung leitet einen Politikwechsel in einer heiklen Frage ein: Die EU-Kommission soll mit Afghanistan ein Rückübernahmeabkommen für abgelehnte Asylbewerber aushandeln. Auch eine Abschreckungskampagne wird geplant.
25.10.2015, von Thomas Gutschker und Friederike Böge
http://www.faz.net/aktuel...

Und Ausschnitt aus der Bundespressekonferenz vom 26. Oktober 2015 mit Fragen und Antworten zu diesem Thema
https://www.youtube.com/w...

 
#46  —  10.04.2016
   
Könnte es sein, dass manche der von Kritik an den Lastwagen-Insassen beherrschten, wenig Empathie zeigenden Kommentare auch mit einem psychologischen Phänomen namens „Gerechte-Welt-Glaube“ zu tun haben?

Gerechte-Welt-Glaube

In Filmen unterliegen meist die Bösen, und die Guten gewinnen. So würden Sie die Welt gern sehen – gerecht und fair. In der Psychologie wird die Neigung, davon auszugehen, dass die Welt auf diese Weise funktioniert, als Gerechte-Welt-Glaube bezeichnet. …
In einem Experiment, das Melvin Lerner und Carolyn Simmons im Jahr 1966 durchführten, beobachteten 72 Teilnehmer eine Frau beim Lösen von Aufgaben. Immer wenn die Frau einen Fehler machte, bekam sie einen [simulierten] elektrischen Schock verabreicht. … Als die Probandinnen aufgefordert wurden, die Frau zu beschreiben, äußerten sich viele abwertend. Sie kritisierten ihren Charakter und ihr Aussehen und erklärten, sie habe die Elektroschocks verdient.
Lerner … führte … eine weitere Untersuchung durch, in der zwei Männer Rätsel lösen mussten. Am Ende erhielt einer der Männer eine hohe Geldsumme. Die Auswahl des Beschenkten erfolgte zufällig, und diese Tatsache wurde den Beobachtern mitgeteilt. Dennoch beschrieben die Teilnehmer im Nachhinein den Mann, der das Geld erhalten hatte, als intelligenter, talentierter, besser im Umgang mit Rätseln und produktiver. …

Aus
David McRaney: Ich denke, also irre ich. – Wie unser Gehirn uns jeden Tag täuscht. mvgverlag 2012 (am. Orig. Dutton 2011)
 
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-04/sms-rettet-junge-sauerstoff-lastwagen?cid=6445556#cid-6445556