Wie Eugenik die Köpfe eroberte
Von Ernst Klee
DIE ZEIT 05.09.1997
http://www.zeit.de/1997/37/Wie_Eugenik_die_Koepfe_eroberte
Auszug:
"Ein Schweizer dachte vor. Die Skandinavier erließen als erste Sterilisierungsgesetze. Die Deutschen trieben den Rassenwahn bis zum Massenmord
August Forel, ein Mann, der die Ausmerzungsphantasien zahlreicher Forscher beflügeln soll, wird am 1. September 1848 auf einem Landgut bei Morges im Kanton Waadt geboren. Als Junge darf er nicht mit anderen Kindern spielen, ohne Begleitung des Dienstmädchens kann er nicht einmal den Garten betreten. Prüderie plagt ihn, so daß er nie im Freien badet und auch nie schwimmen lernt. Der Landwirtssohn wird in der Schule ein Objekt des Spotts und der Prügel seiner Mitschüler.
August Forel entdeckt zwischen dem fünften und achten Lebensjahr seine Vorliebe für Ameisen, vor allem für die "beiden Sklaven haltenden Ameisenarten der Schweiz". Als Medizinstudent seziert er die Insekten, studiert ihren Kaumagen und ihre Giftblase. Das bestärkt seinen Wunsch, Psychiater zu werden. So hat er es in seiner Autobiographie ("Rückblick auf mein Leben") beschrieben.
1874, Forel ist 26 Jahre alt, erscheint sein erstes Werk über die Ameisen der Schweiz. Dies trägt ihm die Bekanntschaft mit Charles Darwin ein, der die These aufgestellt hat, daß die schlecht Angepaßten durch Auslese ausgemustert werden.
Darwin schrieb von Stiefmütterchen und Purzeltauben, von Pflanzen und Tieren.
Seine Nachfolger ("Sozialdarwinisten") übertrugen den Kampf ums Dasein auf die Sozialgemeinschaft: Minderwertige Menschen vermehrten sich auf Kosten der hochwertigen, die natürliche Auslese werde durch Medizin und Sozialleistungen gehemmt. Darwins Vetter Francis Galton entwickelt daraus seine Erbgesundheitslehre, die "Eugenik" (die Nationalsozialisten werden später von "Erbpflege" reden).
August Forel wird im August 1879 Direktor der Zürcher Irrenanstalt Burghölzli. Um seine Keuschheit zu bewahren, bittet er Freunde, eine "möglichst alte und häßliche Haushälterin zu beschaffen". Eines Tages hört er eine Stimme: "Du mußt Apostel der Wahrheit werden." Der Wahrheitsapostel bekämpft fortan den Alkohol, bekennt sich zum Sozialismus und stellt sich die Frage: "Welche Rassen sind für die Weiterentwicklung der Menschheit brauchbar, welche nicht? Und wenn die niedrigsten Rassen unbrauchbar sind, wie soll man sie allmählich ausmerzen?"
Forel ist einer der ersten Rassenhygieniker. Er sieht einen "Konkurrenzkampf der Rassen", bei dem die Weißen durch die Geburtsraten der "Neger, Japaner und Chinesen" und die Vermehrung der Minderwertigen im eigenen Land bedroht werden. Forel 1904: "Wenn dann die schlechteste Menschenware Dutzende von Dummköpfen, Verbrechern, Krüppeln, Tuberkulösen und sonstigen Mißgestalten erzeugt hat, bauen wir überall Irrenanstalten, Siechenhäuser, Korrektionshäuser, Idiotenanstalten, Epileptikeranstalten, Altersasyle und Zuchthäuser, um die schlimmsten Früchte ihrer Entartung auf unsere Kosten zu versorgen. Und wir merken nicht, daß diese Art Humanität die Kulturmenschheit allmählich zugrunde richtet." ..."
Forels Bild erschien auf einer Schweizer Banknote, und mindestens eine Schule ist nach ihm benannt.
http://en.wikipedia.org/wiki/Auguste-Henri_Forel ;
http://en.wikipedia.org/wiki/Forel_International_School
"Kulturmenschheit":
Dieser Begriff findet sich z.B. auch bei Wilhelm Schallmeyer, "Über die drohende Entartung der Kulturmenschheit..." (1891); zitiert in "Anthropology at War: World War I and the Science of Race in Germany" von Andrew D. Evans (1992)
http://books.google.co.ke/books?id=CpFb4AeKWqoC&lpg=PP1&pg=PP1#v=onepage&q&f=false
S. 248
Über Wortkombinationen mit "Kultur", die von eugenisch-rassenhygienischen Denktraditionen geprägt sind ("Kulturträger", "Kulturbereicherer" als zynische Bezeichnungen) siehe auch den vorigen Post, http://guttmensch.blogspot.com/2011/11/kulturtrager-kulturbereicherer-zynische.html
Die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg- der neutrale Fels in der totalitären Brandung?
AntwortenLöschenFacharbeit (Schule), 1999
Verfasser: Maximilian Wiedl; Kursleiterin: Frau Gloria von Godin
... 1930 gab es in der ganzen Schweiz 17.973 Juden, was einem Anteil von 0,44% entspricht. Davon waren 9.803 (54.5%) Schweizer und 8.170 (45.5%) Ausländer; zur selben Zeit kamen 355.522 Ausländer, 134.561 aus Deutschland, 127.093 aus Italien und 37.303 aus Frankreich, in die Schweiz. Daraus ergibt sich ein Anteil von 0,0230% (aufgerundet) für jüdische Ausländer, die in die Schweiz kamen. Angesichts solcher Zahlen kann man nicht von einer besonderen Gefahr der Überfremdung der Schweiz durch Juden sprechen, vor allem schon deshalb, weil kein ernstzunehmender Mensch von einer Gefahr der Überfremdung durch bestimmte Völker oder ethnische Gruppen reden kann. Dieser Statistik stehen zwei Dokumente als Gegensatz gegenüber: zum einen der Brief des deutschen Gesandten in der Schweiz, Freiherr von Weizsäcker, geschrieben im April 1934; zum anderen das Ergebnis einer Leserumfrage des ,,Emmenthaler Blattes", demnach 10 von 12 Leserbriefen auf die Frage einer möglichen Judengefahr hin einen antisemitischen Inhalt haben. Der deutsche Gesandte Freiherr von Weizsäcker kommt in seinem Lagebericht über die schweizerische Haltung zu dem ,,Judenproblem" zu folgendem Schluß: "Ernsthafte Schweizer gestehen im Zwiegespräch gern ein, daß ihnen am deutschen Vorgehen in der Judenfrage nur die Form mißfällt." ...
Soweit zur Haltung der eidgenössischen Regierung und der öffentlichen Meinung; daß die mögliche Aufnahme von Flüchtlingen aus z.B. dem Dritten Reich von der öffentlichen Meinung beeinflußt wurde, erscheint mir als weniger wahrscheinlich. Die dafür entscheidende Stelle war, wie schon erwähnt, der Chef der schweizerischen Polizei, Heinrich Rothmund. Bevor man sich weiter mit diesem Thema beschäftigt, sollte man die maßgebliche Person, also Heinrich Rothmund, mit einigen Sätzen genauer betrachten. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges bekleidete Heinrich Rothmund noch nicht seine Stellung als oberster Chef der eidgenössischen Polizei, sondern war (noch) einfacher Oberleutnant und Führer eines Zuges. Alfred Häsler beschreibt ihn in seinem Buch ,,Das Boot ist voll. Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933-1945" als einen mitleidslosen, manchmal harten, manchmal sanften Menschen; er sei ,,zornig und mild, despotisch und charmant, witzig und zynisch, launisch wie eine Primadonna und väterlich jovial." Nach Ende des Ersten Weltkrieges baute Rothmund die Fremdenpolizei auf, eine neue Abteilung der Polizei, deren Aufgabe ausschließlich die Überwachung und Überprüfung von Immigranten und anderer Ausländern war. Während eines Besuches in Deutschland schreibt er in seinem Bericht über die Verhandlungen, die er in Berlin zwischen dem 12. Oktober und 6. November 1942 führte, zu einem Besuch in dem KZ Oranienburg, folgendes: "Ich versuchte den Herren (Rothmund berichtet hier über ein Essen in dem Konzentrationslager Oranienburg) klarzumachen, daß Volk und Behörden in der Schweiz die Gefahr der Verjudung von jeher deutlich erkannt und sich stets so dagegen gewehrt haben, daß die Nachteile der jüdischen Bevölkerung durch die Vorteile wettgemacht wurden, während das in Deutschland nicht der Fall war. Der Gefahr kann nur dadurch begegnet werden, daß ein Volk sich von allem Anfang an gegen die jüdische Ausschließlichkeit wehrt und sie verunmöglicht. (...) Die jüdische Rasse ist geschichtlich erprobt, zäh und stark gegenüber Verfolgungen. Sie hat bisher allen Ausrottungsversuchen standgehalten und ist immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Aus diesen Überlegungen scheine mir, so schloß ich meine Ausführungen, die heutige deutsche Methode falsch zu sein und gefährlich für uns alle, weil sie uns letzten Endes die Juden auf den Hals jage." ...
http://www.grin.com/de/e-book/95049/die-rolle-der-schweiz-im-zweiten-weltkrieg-der-neutrale-fels-in-der-totalitaeren