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Freitag, 8. Juli 2011

Verbreitung einer Internet-Legende: Die angebliche Unterdrückung der Intelligenzforschung durch die Nazis

Heute habe ich eine andere Google-Suche, die auf meinen Blog geführt hatte, zum Nachvollziehen ausgewählt, weil die Suchworte mich neugierig machten auf die anderen Funde, die sie ergeben. Gestern war die ausgewählte Suchwortkombination Scientific Racism Übersetzung (dazu mehr auf dem vorigen Post (http://guttmensch.blogspot.com/2011/07/scientific-racism-wissenschaftlicher.html). Heute war es Intelligenztest Hitler. Dazu fand Google immerhin 140.000 Links.

Nicht schlecht gestaunt habe ich darüber, wie häufig das von Volkmar Weiss (Ideengeber Sarrazins) aufgebrachte, in der Sache nachweislich unzutreffende Credo wiederholt wurde, die Nazis seien gegen Intelligenztests gewesen. Immer wieder findet man in der einen oder anderen Variation, mit Originalzitat oder sinngemäß "nachgebetet": "Hitler war gegen Intelligenztests, die er nur als "jüdische Tests" bezeichnete, weil die Juden dabei stets so gut abschnitten."

Deshalb würde es Weiss - der den Türken eine im Vergleich zu den Deutschen erblich bedingt niedrigere Intelligenz nachsagte - kalt lassen, wenn ihn jemand in die Nähe der Nazi-Ideologie rücke, schrieb der Autor eines Artikels in der "Welt" vom 23.07.2005, deutlich beeindruckt.(www.welt.de/wissenschaft/article2107370/Der_Intelligenzquotient_der_Tuerken.html).

Sogar ein Hochschulpräsident (Dieter Lenzen, seinerzeit FU Berlin) machte sich, wie aus dem Artikel hervorgeht, seinerzeit zum Sprecher von Weiss' These von den erblich festgelegten Intelligenzunterschieden nach geografischen Herkunft. Dabei ist die "wissenschaftliche" Untermauerung dieser These von ähnlicher, bröckliger Substanz wie die Interpretation von "Begabungsprüfungen" an amerikanischen Rekruten in den 1920er Jahren, die Intelligenzforscher in Nazi-Deutschland dazu veranlasste, ihre Überzeugungen von der Überlegenheit der "nordischen Rasse" bestätigt zu sehen (siehe auf diesem Blog
http://guttmensch.blogspot.com/2011/04/nazi-wissenschaftler.html).


Und nicht nur das: Nach Aussage eines maßgeblichen "Begabungsforschers" der Nazis (Reinöhl, Quelle s. Link unten) ging sogar die Einrichtung von "Führerschulen" auf Empfehlungen eines amerikanischen Intelligenzforschers, Lewis M. Terman, zurück.
http://guttmensch.blogspot.com/2011/04/nazi-wissenschaftler.html


Lewis Terman, um 1915
Gefunden auf
http://en.wikipedia.org/wiki/History_of_the_race_and_intelligence_controversy


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Wenn die Informationen aus dem folgenden Artikel zutreffen, wurde Volkmar Weiss "manipulatives Verhalten" bei Wikipedia vorgeworfen, was dort sogar eine Sperre zur Folge hatte (allerdings wird darin auf die Legende von den Anti-Intelligenztest-Nazis nicht Bezug genommen):
www.freitag.de/community/blogs/andreas-kemper/wissenschaftlicher-rassismus-und-reputabilitaet

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Die Legende von der "Unterdrückung der Intelligenzforschung" durch die Nazis findet sich - ohne Quellenangabe - auf zahlreichen Webseiten, so auch auf einer Webseite mit dem Titel "Evo-Magazin - Die Website zur Erforschung der Menschen";
http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/unterdrueckung-intelligenzforschung?page=0,2.
Diese Webseite nennt im Impressum (V.i.S.d.P.) die Giordano-Bruno-Stiftung, eine "Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung" (Selbstbezeichnung);
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/

Über die Giordano-Bruno-Stiftung und Bezüge zur Ideologie der Eugenik siehe auch die Kontroverse um die Preisverleihung an Peter Singer, z.B.Webseite des Verbandes Sonderpädagogik e.V., "Offener Brief von Prof. Dr. em. Georg Feuser";
http://www.verband-sonderpaedagogik.de/aktuell/feuser-reaktion-singer.html
und auf der Webseite der Stiftung selbst
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/giordano-bruno-stiftung-fordert-ruecktritt-des-behinderten-beauftragten-bundesregierung
Aber tut nichts: Die Legende von den Anti-Intelligenztest-Nazis trägt weiterhin dazu bei, die tatsächlichen Ursprünge der These von der Begabungs-Hierarchie der Rassen zu vernebeln.


Weitere Info zu Peter Singer und Gedankengut des "evolutionären Humanismus", wie es die Giordano-Bruno-Stiftung vertritt
Dadurch angeregt (über das Thema dieses Posts hinausgehend; ggf. bei Gelegenheit Stoff für einen eigenen Post):(Nachtrag: Dazu auch neue Posts http://guttmensch.blogspot.com/2011/07/neue-dogmen-im-namen-des-anti.html und http://guttmensch.blogspot.com/2011/07/vielleicht-doch-nicht-ganz-so-neu-neuer.html)


„Das Wintersemester 1989/90 an der Uni -GH- Duisburg begann in wilder Aufregung. Ursache hierfür war ein Seminar für Studienanfänger im Bereich Philosophie, das unter der Leitung von Professor Dr. Hartmut Kliemt mit dem harmlosen Titel "Praktische Ethik" angekündigt wurde. Alleinige Arbeitsgrundlage für dieses Seminar ist Peter Singers Buch "Praktische Ethik". … Unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaftlichkeit unterscheidet Singer in seiner Theorie Menschenleben nach dem Nützlichkeitsprinzip in wertvoll (= Personen) und menschliche Wesen. Alle Menschen sind menschliche Wesen, aber nicht alle Personen. … Wertlose Menschenleben sind nach Peter Singer schwer geistig oder körperlich Behinderte; Menschen, die durch Unfall, Alter oder Krankheit nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind und schließlich auch noch die Bluter. Singer plädiert dafür, diese "wertlosen Menschenleben" für die Euthanasie (Sterbehilfe), ob mit oder ohne dem Einverständnis der Betroffenen freizugeben, um so Leid zu vermindern und das Volksglück zu heben.
Zitate aus dem Buch: "… Wir können die Euthanasie nicht verdammen, weil die Nazis sie durchgeführt haben, ebensowenig wie wir den Bau von neuen Straßen aus diesem Grunde verdammen können." (Seite 210). … "Mißgebildete Säuglinge haben diese Eigenschaften (Rationalität, Autonomie und Selbstbewußtsein) nicht. Sie zu töten kann daher nicht gleichgesetzt werden mit dem Töten normaler menschlicher Wesen." (Seite 179). … "Das Problem besteht darin, daß wir vor den Abtreibungen nicht wissen können, welches die normalen (Föten) sind. Dieses Problem ließe sich beseitigen, wenn die Frau bis nach der Geburt warten könnte, bevor sie die Entscheidung für oder gegen das Leben ihres Kindes trifft." (Seite 187).
Von Stadtpanorama befragt, meinte Professor Dr. H. Kliemt: "Das Buch von Peter Singer ist ein sehr gutes Buch. Seine Positionen sind ernstzunehmende Positionen, die man nicht mundtot machen sollte. …."
Aus: Stadt-Panorama, Duisburg (18.10.1989), Praktische Ethik an der Uni: "Nicht abtreiben, sondern erst nach der Geburt töten". Enthalten in einer Zusammenstellung von Dokumenten durch Christoph Anstötz, Rainer Hegselmann und Hartmut Kliemt: Peter Singer in Deutschland. Zur Gefährdung der Diskussionsfreiheit in der Wissenschaft. Eine kommentierte Dokumentation. Mit einer Bibliographie von Björn Haferkamp. Download von: www.frankfurt-school.de/content/de/research/dept_legal_ethics/staff/Kliemt/kliemt_sonstiges/philosophy.html.
Die Seitenangaben zu Singers Buch in dem o.g. Artikel beziehen sich auf die 1984 erschienene deutsche Ausgabe „Praktische Ethik“ (Original „Practical Ethics, 1979)
Bemerkenswert an der Dokumentation ist, dass die Sorge ihrer Herausgeber vor allem der vermeintlichen Gefährdung der Diskussionsfreiheit galt (aus Anlass von Protesten gegen die Einrichtung eines Philosophie-Seminars zur Propagierung von Singers Thesen). Es findet sich auch schon der aus der Sarrazin-Debatte sattsam bekannte Vorwurf,  wenn Thesen von der Minderwertigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht durch angesehene Foren aufgewertet würden, hieße das, ein Vertreter ernstzunehmender Positionen solle mundtot gemacht werden.

Ist Professor Dr. Hartmut Kliemt der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) verbunden, auch über ein gemeinsames Interesse an Peter Singers Werken hinaus? Zumindest soweit, dass er eine Schrift zum 85. Geburtstag von Hans Albert verfasste (2006); aufgeführt in einer Publikationsliste auf der Webseite der „Frankfurt School of Finance and Mangement – zu einem Festakt, den die GBS für ihren Stiftungsbeirat Prof. Dr. Dr. Hans Albert organisiert hatte.

Im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung wirkte zeitweise auch die von Sarrazin gern zitierte Necla Kelek mit, deren Kritik an islamischem Chauvinismus in vielen Teilen nur zu berechtigt ist, deren Bereitschaft, sich mit eugenisch-sozialdarwinistischen Thesen in Verbindung bringen zu lassen, aber auch einige ihrer Unterstützer immer wieder erstaunte. Ihre Assoziation mit der GBS könnte auf Einflüsse dieser Denkfabrik hinweisen.

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Siehe auch auf diesem Blog; Intelligenzprüfung als Teil der "erbbiologischen Bestandsaufnahme" , Beispiel Rhön-Region (http://guttmensch.blogspot.com/2011/07/volkischer-nationalismus-und-die-idee.html)

Weitere Beispiele für die Anwendung von Intelligenztests in Deutschland während der Nazi-Zeit findet man z.B. mit Google-Suche "Intelligenzprüfung"

1 Kommentar:

  1. Kommentar von Jörg Djuren
    Am 31. Januar 2012

    http://guardianoftheblind.de/blog/2011/04/29/sozialdarwinistische-partei-deutschlands/

    "Der Biologismus Sarrazins ist nicht unabhängig von der allgemeinen Popularität biologistischer Argumente zu sehen. Ich denke, die Kritik muss insofern ausgeweitet werden auch auf die liberalen Aufgriffe soziobiologistischer Argumentationen. Deshalb verweise ich hier auf einen Artikel zur Kritik der Giordano Bruno Stiftung und ihrer Verleihung eines Preises an Peter Singer – http://www.3tes-jahrtausend.org/religionskritik/giordano_bruno_stiftung.html -..

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